Kommentar
  Der Versuch Kirchers, die Erde und deren Struktur von einem physikalischen Standpunkt aus zu beschreiben

Athanasius Kircher. Mundus subterraneus, in XII libros digestus. Amsterdam: Jansson & Weyerstraet 1665.

In diesem hervorragend illustrierten Werk unternahm es Kircher, die Erde und deren Struktur von einem physikalischen Standpunkt aus zu beschreiben. Im Gegensatz zu fast allen seiner planmäßig aufgebauten Werke jedoch setzte er dem Mundus subterraneus ein Ereignis voraus, das ihn bei der Abfassung dieses Buches schon mehr als zwei Jahrzehnte beschäftigt hatte, nämlich die Vulkanausbrüche in der seismischen Zone um Sizilien im Frühjahr 1638.
Nach der 1637 in Rom erfolgten Konversion von Kirchers deutschem Landesherrn, dem Landgrafen Friedrich von Hessen-Darmstadt, äußerte dieser den Wunsch, über Sizilien nach Malta zu segeln. Es war daher nicht verwunderlich, dass der Geisaer Pater - der den Anstoß zu diesem Glaubenswechsel gegeben hatte - diesem als Begleiter zugeteilt wurde. Obwohl Kircher auf der gesamten Reise gewissenhaft Studien betrieben hatte, die auch bald in Publikationen einflossen, sollten ihn die Erlebnisse auf der Rückfahrt von Malta im Frühjahr 1638 so sehr beeindrucken, daß der schließlich 1665 erscheinende Bericht an Emotionalität in Kirchers Werk seinesgleichen sucht [1].
Einen Zwischenaufenthalt auf Sizilien nutzte der sich dort vom Landgrafen trennende Pater zu Erkundigungen am Krater von Ätna und Stromboli, doch wurde diese Exploration völlig in den Schatten gestellt von den Ereignissen beim Übersetzen über die Straße von Messina. Erst nach drei Tagen schien sich das Meer so weit zu beruhigen, dass die Überfahrt gewagt werden konnte. Trotzdem versetzten starker Rauch und Gewitterblitze über Ätna und Stromboli die Seeleute und auch Kircher in große Angst. Die göttliche Vorsehung jedoch, so berichtet er, hätte größtes Unheil von ihnen abgewendet, da sie ihr eigentliches Ziel, Sant'Eufemia, wegen widriger Winde nicht ansteuern konnten. So gelangten sie nach Tropea in Kalabrien, wo Kircher bei der Ankunft am Jesuitenkolleg das von ihm befürchtete Erdbeben mit aller Macht erlebte, das den Ort Sant'Eufemia völlig ins Meer abrutschen ließ. Die dramatischen Auswirkungen des Tremors wurden durch unheilschwangeren Rauch und Flammen über dem Vesuv noch verstärkt. Die verängstigten Reisenden suchten daraufhin vor dem Beben trotz tosender See Zuflucht auf dem Schiff und erreichten schließlich nach tagelangem Irren Neapel.
Da der Vesuv jedoch nicht zum Ausbruch kam, ließ sich Kircher von einer Erkundung des Vulkankraters nicht abbringen. Nach all dem Erlebten gab es für ihn keinen Zweifel mehr daran, dass Ätna, Stromboli und Vesuv in unterirdischer Verbindung standen. Den Tod Plinius des Älteren vor Augen, ließ er sich mitten in der Nacht um teures Geld von einem Führer auf schwierigen Pfaden bis zum Krater des Vesuvs bringen und im Morgengrauen auf einen Felsen im Innern des Trichters abseilen, um mit einem Pantometer Messungen vorzunehmen. Neben Erkundigungen von Höhlen seiner Heimat in seiner Jugend stand dieses traumatische Erlebnis am Beginn der jahrzehntelangen Beschäftigung Kirchers mit der Struktur des nicht sichtbaren Kosmos, der er in den folgenden Jahren zwei Bände folgen ließ, die dem Sternenkosmos gewidmet sind [2].

In die Praefatio zu dem in Foliogröße gedruckten Mundus subterraneus ließ Kircher eine doppelseitige Abbildung des Vesuvs mit seinem feuerspeienden Schlund einfügen. Dazu stellte er dem ihm befreundeten, in Rom in päpstlichen Diensten stehenden deutschen Maler Johann Paul Schor (genannt Giovanni Paolo Tedesco) eine eigenhändige Umrisszeichnung zur Verfügung, die dieser dann vervollständigte. Sie bildete den Vorwurf für die von den Amsterdamer Stechern ausgeführte Buchillustration [3].


[1] Die folgenden Abschnitte sind eine Zusammenfassung der in der Praefatio zum Mundus subterraneus auf Bl. 2v°-4v° ausführlich dargelegten Erlebnisse Kirchers. Vgl. dazu auch Kircher, Athanasius. Selbstbiographie des P. Athanasius Kircher aus der Gesellschaft Jesu. Aus dem Lateinischen übersetzt durch Dr. Nikolaus Seng. Fulda: Fuldaer Actiendruckerei 1901. 39-48. Eine naturphilosophische Würdigung des Vesuv-Erlebnisses jetzt auch bei Nummedal, Tara E. "Kircher's Subterranean World and the Dignity of the Geocosm." The Great Art of Knowing. The Baroque Encyclopedia of Athanasius Kircher. Hrsg. Daniel Stoltenberg. Stanford: Stanford University Libraries 2001. 37-47, insbesondere S. 37-39.

[2] Zum Stellenwert dieser Erlebnisse im Gesamtwerk Kirchers jetzt auch Morello, Nicoletta. "Nel corpo della Terra. Il geocosmo di Athanasius Kircher." Eugenio Lo Sardo, Hrsg. Athanasius Kircher. Il Museo des Mondo. Rom: Edizioni de Luca, 2001. 178-196, insbesondere Farbillustrationen des Vesuvs auf S. 178 (sowie auf dem hinteren Schutzumschlag) und 180 wie auch des Ätna auf S. 181.

[3] Strasser, Gerhard F. "'Spectaculum Vesuvii': Zu zwei neuentdeckten Handschriften von Athanasius Kircher." Theatrum Europaeum. Festschrift für Elida Maria Szarota. Richard Brinkmann, Karl-Heinz Habersetzer. München: Fink, 1982. 363-84, hier S. 364-67.