Kommentar
  Erste Abbildungen aus Tibet, insbesondere des Potala-Palasts des Dalai Lama in Lhasa

Athanasius Kircher. La Chine [...] illustrée de plusieurs monuments tant sacrés que profanes [...]. Übersetzt von F. S. Dalquié. Amsterdam: Jansson & Weyerstraet 1670.

Kircher, der ja selbst versucht hatte, der Chinamission zugeteilt zu werden, erfuhr 1656 in Rom, dass zwei österreichische Patres vom Jesuitengeneral zur Erkundung eines Landwegs nach China ausgesandt würden. Der Orden, der bislang seine Missionare auf portugiesischen Karracken auf dem Seeweg nach Ostasien brachte, verlor immer mehr Patres durch Kaperschiffe im Südchinesischen Meer, so dass der Versuch unternommen werden sollte, dank zusehends besseren Kartenmaterials die Erforschung eines Landwegs zu unternehmen [1].
Kircher, der längst sein Werk über China und den Fernen Osten plante, beauftragte daher die Jesuiten Bernhard Diestel und Johannes Grueber vor ihrer Abreise, ihm genaue Reisebeschreibungen und Unterlagen zu übermitteln. Entgegen ihrer Order mussten die beiden den Versuch, schon auf der Hinreise den Landweg zu erkunden, in Isfahan wegen kriegerischer Handlungen in Zentralasien aufgeben und von dort auf dem längst bekannten Karawanenweg nach Hormus ziehen. Von dort segelten sie nach Indien und gelangten schließlich im August 1659 nach Peking. Diestel verstarb binnen Jahresfrist, während Grueber - dem der belgische Jesuit Albert d'Orville und ein chinesischer Diener als Begleiter zugeteilt wurden - mit einem Schutzbrief des neuen Mandschu-Kaisers versehen im Gefolge mehrerer Karawanen über Xian und Xining am 10. Oktober 1661 Tibet und Lhasa erreichte.
Dank des Schutzbriefes durften die Jesuiten einen Monat lang Leben und Gebräuche in der Hauptstadt beobachten. Grueber fertigte eine große Zahl von Skizzen von Tataren- und Tiberterfürsten und deren Frauen an, zeichnete den Dalai Lama (den er als Nicht-Buddhist nie zu sehen bekommen durfte) von einer öffentlichen Darstellung ab und lieferte auch die erste Abbildung des Potala-Palasts, die 200 Jahre lang im Westen die einzige bleiben sollte. Nach vier Wochen zog die Gruppe über Nepal weiter und erreichte schließlich im Frühjahr 1662 das indische Agra, wo d'Orville binnen weniger Tage an Erschöpfung starb. Grueber blieb ein Jahr dort und kehrte endlich mit Heinrich Roth, dem Jesuiten, dessen erste fundierte Beschreibung des Sanskrit Kircher in seiner China [...] illustrata ebenfalls veröffentlichte, auf dem Land- und Seeweg im Februar 1664 nach Rom zurück [2].

Binnen Kürze erhielt Kircher von Grueber und Roth eine erste Zusammenfassung der acht Jahre dauernden Erkundungsreise sowie einige der Skizzen; die anderen Materialien waren noch nicht in Rom eingetroffen. All das publizierte er 1667 in seinem China-Buch mit in Amsterdam bestens gestochenen Illustrationen [3]. Der französische Schriftsteller Melchisedec[h] Thevenot reiste im Winter 1666 sogar aus Paris an, um Grueber in Florenz zu interviewen; er veröffentlichte 1672 einen ähnlichen Bericht im letzten Band seiner Relations de divers Voyages Curieux [4].
Nach kaum drei Monaten Romaufenthalt reisten Grueber und Roth mit offensichtlicher Billigung ihrer Oberen wieder gen Osten, erreichten sogar in Wien bei Kaiser Leopold I., dass er das Patronat des neuen Landwegs nach China übernahm - und mussten bei einem Zwischenaufenthalt in Konstantinopel erfahren, dass ihre Erkundigung inzwischen zu einem Politikum geworden war: König Alfonsos VI. von Portugal hatte sich im Juli 1664 bei dem General der Jesuiten darüber beklagt, dass diese Landroute das angestammte portugiesische Monopol unterlaufen würde, Missionare in den Fernen Osten zu bringen; er drohte mit einer Einstellung der deswegen an den Orden gezahlten Subventionen. Der in Konstantinopel schwer erkrankte Grueber kehrte somit mühselig über Florenz (wo ihn im Januar 1666 Thevenot interviewte) nach Rom zurück; Heinrich Roth reiste weiter, erreichte noch einmal Indien, verstarb dort jedoch. Grueber aber wurde - für heutige Begriffe unverständlich und nur unter Berücksichtigung des portugiesischen Protests zu sehen - trotz seines ungeheuren Wissens als Feldkaplan nach Transsylvanien und Pfarrer von Tyrnau geschickt. Von dort versuchte er noch im Herbst 1669, Kircher ein "1. Kapitel" seiner ausführlichen, mühsam in der wenigen ihm noch verbleibenden Zeit zusammengestellten Tagebuchaufzeichnungen zu übersenden, um sie von ihm - wie vereinbart - veröffentlichen zu lassen. Sie kamen nie an, und der gesamte Nachlass Gruebers mit hunderten von weiteren Skizzen ist bis heute verschollen.


[1] Das Folgende beruht auf Strasser, Gerhard F. "Tibet im 17. Jahrhundert. Johannes Grueber, S. J., seine Reisebeschreibungen und die Frage ihrer Veröffentlichung." Daphnis: Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 24.2-3 (1995): 375-400. Den Verfasser des inzwischen schon berühmt gewordenen Novus Atlas Sinensis (Amsterdam: Blaeu, 1655), den Tiroler Jesuiten Martino Martini, trafen Grueber und Diestel während eines zehnmonatigen, erzwungenen Aufenthalts in Surat nördlich von Bombay; er konnte ihnen wichtige Informationen über die auf der Rückreise ins Auge gefasste Landroute geben.

[2] Dazu jetz auch Mastroianni, Aldo. "Kircher e l'Oriente nel Museo del Collegio Romano." Athanasius Kircher: Il Museo del Mondo. Hrsg. Eugenio Lo Sardo. Rom: Edizioni de Luca, 2001. 65-75, hier S. 68-72.

[3] Im Detail jedoch, das die Stecher natürlich selbst hinzufügten, entdeckte Grueber kulturelle Unverträglichkeiten: Den chinesischen Kaiser mit einem Stock und in Begleitung eines Hundes abgebildet zu sehen würde in China als Beleidigung empfunden, meinte er. Grueber beschwerte sich darüber bei Kircher und verlangte zahlreiche Änderungen und Korrekturen. Dazu Wessels, Cornelius, S. J. Early Jesuit Travellers in Central Asia 1603-1721. Den Haag: Nijhoff 1924, 169.

[4] 2 Bände. Paris: Sebastien Mabre-Cramoisy 1666-1672; 2. Auflage Paris 1696. "Voyage à la Chine des Pp. I. Grveber et d'Orville" in Bd. II, Teil IV (erstmals 1672 veröffentlicht von André Cramoisy), gesondert paginiert auf S. 1-23.