9. EIN EROTISCHES LIED DER BIBEL IN DER MITTELALTERLICHEN AUSLEGUNG
Cantica canticorum cum glossis. Honorius Augustodunensis
Kalbspergament - 150 Bl. - 24, 5 x 16 cm - Lamspringe - Ende 12.
Jh
Codex Guelferbytanus 511 Helmstadiensis
Das Hohe Lied oder Hohelied Salomos ist ein Buch
der christlichen Bibel und des jüdischen Tanach. Der Tanach
ist die Heilige Schrift der Jüdischen Religion, bestehend
aus der Tora ("Weisung"), den Neviim ("Propheten")
und den Ketuvim ("Schriften"). Es handelt sich um ein
erotisches Gedicht, das die Annäherung zwischen zwei Liebenden
schildert. Gemäß der allegorischen Auslegungsmethode
wurde in Antike und Mittelalter von Juden und Christen diese liebevolle
Annäherung als Beschreibung der Liebe zwischen Gott und seinem
auserwählten Volk (im Judentum) bzw. der Kirche als Braut
Christi (im Christentum) interpretiert. Die Handschrift weist
drei Kommentare auf. Einer geht auf Honorius Augustodunensis (ca.
1080- ca. 1156), den Schüler des Anselm von Canterbury und
bedeutenden Lehrer der Frühscholastik, zurück, der in
Bräutigam und Braut des Hohenliedes wohl auch Christus und
die Kirche sieht, aber das Verhältnis noch differenzierter
interpretiert, und zwar als Beziehung Christi zur einzelnen Seele
und die der Gottheit Christi zu der ihm verbundenen Menschheit.
Abgebildet sind die Anfänge von Buch I und Buch III der Auslegung
des Honorius' Augustodunensis. Wird in der einen Initiale ein
Königssohn dargestellt, der nach Honorius Worten um die Hand
der Tochter des Königs von Babylon anhält, so schaut
dem Betrachter in der anderen das gekrönte Paar entgegen,
von dessen Liebe das Hohelied handelt.