Einführung

Johannes Hus wird abgeführt. Ausschnitt aus: Ulrich von Richental: Chronik des Konstanzer Konzils, Augsburg 1483; Herzog August Bibliothek, 515.1 Theol. 2°

Im Jahr 2017 wird die Reformation 500 Jahre alt. Mit Martin Luther und seiner Veröffentlichung der 95 Thesen gegen den Ablass begann am 31. Oktober 1517 eine neue Zeit. Aber die Reformation war nicht voraussetzungslos. Wie sieht ihre Vorgeschichte aus? Was sind die Bedingungen, die den Paukenschlag Martin Luthers ermöglichten? Welche Ideen beherrschten die Menschen zu jener Zeit?
Diesen Fragen geht die Ausstellung „Reformstau im 15. Jahrhundert? Kirche und Welt vor der Reformation“, die vom 6. März bis 28. August 2011 in der Augusteerhalle der Herzog August Bibliothek zu sehen war, nach. Gezeigt werden alte Drucke, die Einblick in die ganz unterschiedlichen Probleme jenes Lebens geben.

Das 15. Jahrhundert war eine Zeit immer intensiverer Frömmigkeit, drängender Probleme in der Kirche und umwälzender Entdeckungen. Bildung und Frömmigkeit hingen aufs Engste zusammen. Der von Gutenberg um 1450 erfundene Buchdruck und die Entwicklung druckgraphischer Techniken wie Holzschnitt und Kupferstich machten eine ungeahnte Verbreitung von Wissen und Informationen möglich. Dadurch verlor die Geistlichkeit mehr und mehr ihre Vorrangstellung, denn ihr Monopol auf die Lehre zerbrach. Die Qualifikation und Eignung von Theologen, Predigern und Pfarrgeistlichen wurde mit strengeren Maßstäben gemessen, denn die Laien wurden immer gebildeter. Sie konnten nun selbst lesen und schreiben und wollten auch selbst die Bücher begreifen. Zur gleichen Zeit erreichte die vom Blick auf das Jüngste Gericht und das Jenseits geprägte christliche Frömmigkeit mit Wallfahrten, Wunderglauben, Heiligenverehrung und Ablasswesen eine neuartige Intensität.

Die sich wandelnde Welt machte für den Einzelnen wie für Institutionen Anpassungen erforderlich. Die Kritik an bestehenden Missständen und das Bemühen um eine „Reform an Haupt und Gliedern“ erfassten die Kirche und die geistlichen Orden ebenso wie das Reich, Reformbestrebungen gab es an Universitäten und in weiten Teilen der gesellschaftlichen Eliten.

Eine bewusste Anpassung an Neues war damals jedoch nur als re-formatio vorstellbar, also Rückkehr zum Altbewährten, zu den unverdorbenen Ursprüngen. Das bedeutete für Kirche und Theologie, dass auf die Bibel und die Kirchenväter zurückgegriffen wurde. In Literatur und Wissenschaft dagegen fand die re-formatio als Hinwendung zu den antiken Quellen statt und in Politik und Recht suchte man die gottgewollte Ordnung wiederherzustellen. Bei allem Reformeifer wirkten sich Widerstände und Eigeninteressen jedoch vielfach hemmend aus, so dass viele Reformen nicht durchsetzbar waren oder im Sande verliefen.

Die Ausstellung nimmt den erstaunlichen Reformwillen im Jahrhundert vor der Reformation in den Blick. Sichtbar wird eine Welt im Wandel, tief geprägt von einer scheinbar uniformen Kirchlichkeit und voller Hoffnungen und Ängste, Bildungsbegeisterung und Jenseitsbezogenheit.