Kommentar
  Kirchers aufwendig illustriertes Referenzwerk über China und Ostasien mit erster Abbildung der "Nestorianischen Stele"

Athanasius Kircher. China monumentis quà sacris quà profanis [...] illustrata. Amsterdam: Jansson & Weyerstraet 1667.

Der nur durch die finanzielle Unterstützung Kaiser Leopolds I. so aufwendig ausgestattete Folioband spiegelt den damaligen Kenntnissstand über die immer wichtiger werdenden Länder des Fernen Osten wieder. Kircher veröffentlichte eine Reihe von Berichten der in diesen Gebieten tätigen Jesuitenmissionare, so etwa Heinrich Roths erste Beschreibung des Sanskrit oder Johannes Gruebers Illustrationen aus Tibet und Lhasa. Übersetzungen in Holland, England und Frankreich bezeugen den großen Erfolg des Werks [1]. Aufgeschlagen ist das zu Anfang des Bandes vorgestellte, für die Missionsbestrebungen wichtigste Fundstück, eine 1625 gefundene Steinplatte. Unter einem Kreuz finden sich etwa 800 chinesische Schriftzeichen, die noch heute von gebildeten Chinesen gelesen, wenngleich nicht vollständig verstanden werden können. Daneben stehen Erläuterungen und Unterschriften in syrischer (von Kircher als "chaldäisch" bezeichneter) Schrift, die bezeugen, dass schon 781 im nestorianischen Kloster von Chang'an ("Ewiger Frieden"), der Hauptstadt des Tang-Imperiums, der christliche Glaube gepredigt wurde [2]. Kircher, der 1636 - also kaum zehn Jahre nach Auffindung der Stele - in seinem Prodromus Coptus die Übersetzung des syrischen Textes geliefert hatte, ließ nun erstmals alle von ihm durchnummerierten chinesischen Schriftzeichen sowie das syrische Material sorgfältig abbilden. Wie schon einige Jahre vorher in seiner Polygraphia nova et universalis, als Kircher Paralleltexte in mehreren Sprachen mittels solcher Querverweise erschloss, ermöglichen diese Querbezüge nun den Übergang von Schriftzeichen zu Umschrift und Übersetzung, so daß der Leser - obwohl nicht immer zuverlässig - vom Zeichen über die mögliche Aussprache zur Bedeutung eines jeden Wortes gelangen kann, wobei Kircher Hilfe von Michael Boym erhielt, dem damals besten Kenner der chinesischen Sprache und Kultur. Es ist sicherlich Kirchers Verdienst, wie Haun Saussy in einer detaillierten Analyse betont, dank dieser kombinatorischen Methode die Symbolik der Nestorianischen Stele als Schnittpunkt von Religionen und Kulturen herausgearbeitet zu haben [3].

Die über drei Meter hohe Stele befindet sich noch heute unter den rund 10.000 Grabsteinen, die im "Stelenwald" des Museums der Provinz Xian ausgestellt sind und zumeist die Kulturrevolution überdauert haben. Sie ist das erste christliche Dokument in der chinesischen Geschichte und berichtet von einem syrischen Mönch namens Alopen, der 635 in der Hauptstadt Chang'an ankam. Diese damals vielleicht weltoffenste Stadt Asiens hatte zu dem Zeitpunkt bereits zwei andere ausländische Religionen aufgenommen, nämlich den Buddhismus und den Islam. In solch einem Umfeld predigte Alopen nun die "Religion des Lichts" (jing jiao), wie das Christentum bezeichnet wurde, die so schnell Anhänger fand, daß der Kaiser Tang Taizong eine Untersuchung über die neue Lehre anstellen ließ, deren Verbreitung er im Anschluß als nützlich befand. In einem Dekret aus dem Jahr 638 beschrieb der Kaiser die "Religion des Lichts" mit folgenden Worten: "Wir finden sie exzellent, [ ..]. belebend für die Menschheit, unverzichtbar". Tang Taizong ließ im Stadtviertel Yi Ming ein Kloster erbauen, in dem sich einundzwanzig Mönche niederließen. Die Gemeinschaft von Chang'an war die erste christliche Gemeinde in China. Es handelte sich wahrscheinlich um eine Gruppe von syrischen Mönchen, die über die Seidenstraße nach Chang'an gekommen waren.
Die Lehre der Nestorianer beinhaltete, daß in Christus zwei getrennte Personen - eine göttliche und eine irdische - existierten; Maria wurde der Titel "Mutter Gottes" nicht zugestanden. Aus diesen dogmatischen Gründen wurde die Gruppe im Jahre 431 im Konzil von Ephesus als häretisch verurteilt [4], was mit für die Missionswanderungen der syrischen Mönche nach Zentralasien verantwortlich sein könnte. Bei der Darlegung der christlichen Lehre wurden Ausdrücke gebraucht, die auch der chinesischen Mentalität verständlich waren und im Sprachgebrauch Anleihen am Buddhismus nahmen, der in der Region schon bekannt war. Jesus wurde als "Meister der Weisheit" bezeichnet, der "das Leben bringt und den Tod besiegt"; er wird auch "schillernder Herr des Universums" genannt, der "das Boot der Barmherzigkeit und dessen Insassen zur Heimat des Lichtes führt". Obgleich dadurch Leben und Tod Christi etwas an Bedeutung verloren, wurde mit Nachdruck die Würde jedes Menschen als Geschöpf hervorgehoben. Die Amtsträger dieser neuen Religion, heißt es auf der Stele, "haben weder Männer noch Frauen als Sklaven; sie betrachten alle Menschen, ob sie adlig sind oder dem gemeinen Volk angehören, als gleichwertig, was ihre Würde anbelangt. Sie häufen weder Schätze noch Reichtümer an und geben mit ihrem Leben ein Beispiel an Armut und Verzicht". In der stark hierarchisch strukturierten chinesischen Gesellschaft mit ihren zahlreichen Privilegien mußten diese Worte geradezu revolutionär klingen.
Ein Dekret aus dem Jahr 845 - das dem Kaiser von Taoisten und Konfuzianern vorgeschlagen worden war - verbot dann alle ausländischen Religionen. Die nestorianischen Gemeinschaften flüchteten deshalb aus Zentralasien; nur wenige blieben danach noch in der chinesischen Provinz Fujian oder am Delta des Gelben Flusses, doch von ihnen gibt es nach 987 keine Spuren mehr.
Der von Kircher erstmals im Westen vollkommen publizierte Text der Stele blieb für lange Zeit die einzige Spur dieser nestorianischen Christen. Nestorianische Texte in chinesischer Sprache tauchten erst gegen Anfang des 20. Jahrhunderts auf, als in "Chinesisch-Turkestan" (der heutigen Autonomen Region Xinjiang, VR China) in Oasenstädten wie Turfan oder Dunhuang Manuskripte mehrerer Religionen in verschiedenen Sprachen entdeckt und der Wissenschaft zugänglich gemacht wurden. Unter diesen Handschriften befanden sich auch neun christliche, die heute in der Sammlung Pelliot in Paris und in verschiedenen Privatsammlungen in Japan liegen. Nach einer Übersetzung und Bearbeitung der Texte in der Mitte des 20. Jahrhunderts erfolgt derzeit eine Neubearbeitung dieser für die Religions- und Missionsgeschichte wichtigen Dokumente. Die heute noch hauptsächlich im Nahen Osten lebenden 400 000 Mitglieder der Assyrischen Kirche - wie die Nestorianer jetzt genannt werden - ließen sich 1994 unter Papst Johannes Paul II. nach über 1500 Jahren der Trennung wieder in die Katholische Kirche eingliedern.


[1] Dieterle, Reinhard, John Fletcher. "Universale Bildung im Barock." Universale Bildung im Barock: Der Gelehrte Athanasius Kircher. Rastatt: Stadt Rastatt, 1981. 101-04. Eine Ausstellung der Stadt Rastatt in Zusammenarbeit mit der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe.

[2] Cervellera, Bernardo. "V. R. China - Begegnung zwischen China und dem Christentum." Internationaler Fidesdienst Nr. 4206 ND 551 (22 Sept. 2000): 1-2.

[3] Saussy, Haun. "China Illustrata: The Universe in a Cup of Tea." The Great Art of Knowing: The Baroque Encyclopedia of Athanasius Kircher. Hrsg. Daniel Stolzenberg. Stanford: Stanford University Libraries, 2001. 105-114, hier S. 106-109. Dazu auch Mastroianni, Aldi. "Kircher e l'Oriente nel Museo del Collegio Romano." Athanasius Kircher: Il Museo del Mondo. Hrsg. Eugenio Lo Sardo. Rom: Edizioni de Luca, 2001. 65-75, hier S. 68-72.

[4] Strasser, Gerhard F. "Tibet im 17. Jahrhundert. Johannes Grueber, S.J., seine Reisebeschreibungen und die Frage ihrer Veröffentlichung." Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 24 (1995), 375-400, hier S. 375.