21. August 2024
HAB: Was ist dein akademischer Hintergrund und dein aktuelles Forschungsinteresse? Woran arbeitest du gerade?
Josefa: Ich mache aktuell einen Research Master in Leiden und schreibe meine Thesis über das Thema Race-Making in der Frühen Neuzeit in der Atlantischen Welt. Davor habe ich meinen Bachelor in Hamburg gemacht, wo ich meine BA über die Verwissenschaftlichung von Rassismus geschrieben habe.
HAB: Was hat dich dazu motiviert, am Sommerkurs der Herzog August Bibliothek zum Thema „Early Modern Slavery“ teilzunehmen?
Josefa: Ich habe noch nie an einem Sommerkurs teilgenommen, daher hat mich das zunächst gereizt. Am meisten interessierte mich jedoch das Thema, da es genau meinen Forschungsinteressen entspricht. Als ich mich dann über die Dozent*innen informierte und Namen wie Rebekka von Mallinckrodts sah, deren Arbeiten mich überhaupt erst dazu inspirierten, in diese Themenwelt einzusteigen, habe ich sofort die Bewerbung geschrieben.
HAB: Wie sah ein typischer Sommerkurs-Tag für dich aus?
Josefa: Aufstehen, fertig machen, schnell rüber zum Frühstück, um mir zwei Brote zu schmieren, und dann direkt zum Seminar. Danach habe ich meistens im Anna-Vorwerk-Haus zu Mittag gegessen und die Sonne im Garten genossen. Meistens bin ich auch zum Arbeiten im Garten geblieben, da er einfach zu schön war. Abends haben wir als Gruppe oft zusammen gekocht und den Tag mit einem Wein ausklingen lassen. Fast schon wie Urlaub.
HAB: Welche Ressourcen der Herzog August Bibliothek hast du genutzt?
Josefa: Tatsächlich habe ich zwei Bücher zur Begriffsgeschichte gefunden, die es in Leiden nicht gibt, und habe diese dann auszugsweise gelesen und gescannt. Ansonsten habe ich den Seminarraum oft genutzt, um dort zu arbeiten, wenn ich einen richtigen Schreibtisch haben wollte.
HAB: Welche Session ist dir am stärksten in Erinnerung geblieben? Und warum?
Josefa: Definitiv die von Chloe Ireton. Ich hatte mich im Vorfeld schon mit ihrer Arbeit vertraut gemacht und war an dem Tag sehr aufgeregt, sie persönlich zu treffen. Nach über einer Woche Summer School war bei mir auch tatsächlich die Luft raus, aber Chloe hat mit ihrer Art, der Sitzungsleitung und den Diskussionen, die sie anregte, meine Motivation neu geweckt. Ich war nach dem ersten Tag wieder Feuer und Flamme und hätte noch zwei weitere Wochen machen können.
HAB: Gab es Themen oder Standpunkte, die besonders kontrovers diskutiert wurden? Wenn ja, wie wurden diese Kontroversen behandelt?
Josefa: Wir waren uns als Gruppe recht einig, sodass wenig wirklich kontrovers war. Was mir im Gedächtnis geblieben ist, sind vielleicht die Diskussionen, wenn es um disziplinäre Unterschiede wie Legal History zu Social oder Cultural History ging. Auch sind wir immer wieder zu Fragen zurückgekehrt wie: Was ist Sklaverei? Was ist Freiheit und wie kann beides definiert werden?
HAB: Welche neuen Erkenntnisse oder Perspektiven hast du während des Kurses gewonnen?
Josefa: Um über Sklaverei zu forschen, muss diese zuerst definiert werden, was aber gar nicht so einfach ist. Dabei ist es wichtig, auf der lokalen Ebene genau zu erforschen, was wie verstanden wurde, da auch die Abgrenzungen zu anderen Formen von Abhängigkeit, wie z. B. Knechtschaft, nicht immer klar sind. Auch ist Sklaverei, wie sie meist in der Forschung verstanden wird, eher ein europäisches Konstrukt, was besonders bei vergleichenden Arbeiten nicht global auf alle Gesellschaften übertragbar ist.
Hier ein mir in Erinnerung gebliebenes Zitat aus unserer Diskussion: „Slavery is bondage, but not all bondage is slavery.“
HAB: Gab es einen bestimmten Moment oder eine Diskussion, die besonders erhellend oder herausfordernd für dich war?
Josefa: José Lingna Nafafés Vortrag über sein Buch und seine Conclusion zur „Lawfulness of Slavery in West Africa“ war für mich besonders interessant. Ich habe mich noch nicht viel mit westafrikanischer Geschichte befasst und finde sein Argument zusammen mit Toby Greens Arbeiten besonders hilfreich, um die europäische Historiographie zurechtzurücken.
HAB: Nun ist es wohl leider nicht möglich, die Erkenntnisse aus einem zweiwöchigen Kurs kurz für uns zusammenzufassen. Aber gibt es auf der inhaltlichen Ebene etwas, das du besonders hervorheben möchtest?
Josefa: Ich habe mir tatsächlich Ergebnisse schriftlich festgehalten, um ein kurzes Resümee des Kurses zu haben. Hier sind die vier Oberpunkte:
- Definition of Slavery: Its lawfulness/(il)legality, difference to serfdom.
- The Myth of Free Soil: Question existing historiographies and paradigms that have been established.
- Universality of Slavery: Its problematic to compare or transfer the European concept of slavery globally.
- Archives and Methodology: Going beyond numbers (Jennifer L. Morgan), critical fabulation (Saidiya Hartmann) to go beyond the limits of archives and white historiography.
HAB: Wie planst du, das Wissen und die Erfahrungen aus dem Kurs in deine eigene Forschung oder Lehre zu integrieren?
Josefa: Vor allem Chloe Iretons Sektion über neue oder alternative Methoden finde ich sehr spannend und möchte ich auch in meiner Forschung umsetzen, um das Meiste aus dem Archiv und den Quellen herauszuholen.
HAB: Hast du Ideen oder Projekte entwickelt, die du nach dem Kurs weiterverfolgen möchtest? Wurden in den Diskussionen neue Forschungsfragen aufgeworfen?
Josefa: Ich habe keine neuen Projekte entwickelt, sondern mich auf meine aktuellen konzentriert. Für meine MA war vor allem Rebekka von Mallinckrodts Sektion über Sklaverei im Alten Reich hilfreich, da ich anhand einer begriffsgeschichtlichen Analyse zweier rassistischer Begriffe Race-Making im deutschen Raum analysieren möchte. Ihre Einsichten sowie die Literatur, die sie uns gab, sind genau richtig für diese Arbeit.
Bezüglich meines Promotionsthemas (ich befinde mich aktuell in der Vorbereitungsphase meiner Bewerbung) sind die Forschungen, die Chloe Ireton uns präsentiert hat, wichtig für mich. Ich plane, über die sogenannten Black Hessians, eine Gruppe von Black Loyalists, die mit den hessischen Truppen nach dem Unabhängigkeitskrieg ins Alte Reich kamen, zu forschen. Da die Quellenlage sehr dünn ist, spiele ich mit dem Gedanken, Saidiya Hartmanns Methode der „Critical Fabulation“ zu nutzen.
HAB: Hast du während des Kurses Kontakte aufgebaut, die für deine akademische Laufbahn von Bedeutung sein könnten?
Josefa: Absolut! Zuallererst die anderen Teilnehmer*innen! Mit einigen stehe ich noch in Kontakt, und wir planen, uns bald wieder zu treffen. Dann selbstverständlich der Kontakt zu den Dozent*innen. Ich hatte mit Rebekka von Mallinckrodt und Chloe Ireton schon gemailt, aber sie dann persönlich zu treffen und von ihnen lernen zu dürfen, war nochmal ein Highlight. Auch konnte ich mich mit Francisco Bethencourts Frau Ulinka Rublack austauschen und ihr Fragen zum PhD-Programm in Cambridge stellen, woraufhin sie mich direkt mit zwei Doktorand*innen bekannt machte. Ich glaube, neben inhaltlichem Wissen und Nützlichem für meine Forschung habe ich vor allem mein akademisches Netzwerk weiter ausbauen können, wofür ich sehr dankbar bin.
HAB: Welche Empfehlungen würdest du anderen Doktorand*innen geben, die sich mit dem Thema Sklaverei und deren Auswirkungen beschäftigen?
Josefa: Hättet ihr euch mal beim Sommerkurs beworben!
Titelbild: Gruppenfoto der Teilnehmenden und Dozent*innen des Sommerkurses im Garten des Anna-Vorwerk-Hauses
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