20. November 2024

Wer in der Frühen Neuzeit in eine adlige Dynastie geboren wurde, musste sich dem Wohle des Adelshauses unterordnen. Natürlich traten dabei Konflikte auf, vor allem im Kontext sich ändernder Herrschaftsstrukturen, wie der Einführung und Durchsetzung der Primogenitur, bei der nur dem Erstgeborenen das Erbe zufiel. Regierende Fürsten – und die, die es werden wollten – verfügten daher über mehrere Handlungsmöglichkeiten, um mit Verwandten umzugehen, die ihnen Probleme bereiteten. Sie gefangen zu nehmen war eine davon.

Zwischen 1400 und 1700 lassen sich 39 Fälle finden, in denen allein in den hochadligen Familien des Heiligen Römischen Reiches auf diese Methode der Konfliktregelung zurückgriffen wurde. Die Plassenburg bei Kulmbach hatte als ‚Verwahrungsfestung‘ für die Hohenzollern zeitweise sogar Tradition: zwischen 1467 und 1527 waren dort vier Familienmitglieder für unterschiedliche Zeiträume inhaftiert.

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Die Gefangennehmer aufgeteilt nach verwandtschaftlichem Grad zu den gefangengenommenen Personen.

Die Gefangennehmer – ausschließlich Männer – beschreiben die Haft oft mit dem Begriff Verwahrung, die mal „gut“, mal „fleissig“ und mal „fürstlich“ sein konnte. Aus Sicht der Inhaftierten klingen die Dinge anders. Wilhelm von Berg wirft seinem Sohn 1404 vor, ihn „gefangcen und jemerlichen verraeden“ zu haben. Und Anna von Sachsen endet 1571 aus ihrer Haft einen Brief mit den Worten „beidrübt gefangene Anna“. Die Gefangennahmen fanden meist im engsten verwandtschaftlichen Kreis statt, wobei die Brüder als Gefangennehmer deutlich überwiegen. Möglicherweise, weil der Streit um Herrschaftsansprüche, in dessen Kontext viele der Gefangennahmen stattfanden, oft ein Bruderkonflikt war.

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Die Aufteilung der Gefangenen nach Geschlecht und Umständen des Endes ihrer Haft.

So etwa bei Heinrich dem Jüngeren und Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel: Im Jahr 1523 brach ein bereits lange schwelender Konflikt zwischen den beiden aus. Wilhelm hatte Schulden und war finanziell völlig von seinem älteren Bruder abhängig, denn er verfügte weder über lukrative geistliche Pfründen, noch gestattete Heinrich ihm eine Teilhabe an der Herrschaft. Wilhelm strebte nun ohne Heinrichs Wissen eine Hochzeit an – es war vertraglich festgelegt, dass Wilhelm nur mit Heinrichs Zustimmung heiraten durfte – und suchte Anstellung ausgerechnet bei Verbündeten von Heinrichs Feinden. Als der von Wilhelms Plänen erfuhr, reagierte er sofort und ließ seinen jüngeren Bruder gefangen nehmen. Wilhelm war so von sämtlichen möglichen Verbündeten abgeschnitten und handlungsunfähig gemacht.

Heinrich stand nun vor einem Problem. Sein Vorgehen war von der Reichsöffentlichkeit nicht unbemerkt geblieben, und offenbar warf man ihm vor, Wilhelm um sein „veterliches erb“ bringen zu wollen. Denn Wilhelm stand nach der Tradition seiner Vater- und Großvatergeneration als zweitältestem weltlichen Bruder Teilhabe an der Regierung zu. Heinrich rechtfertigte sein Vorgehen daher in einer öffentlichen Druckschrift und in persönlichen Briefen an einige verwandte und verbündete Fürstenhäuser. Dort heißt es, Heinrich hätte Wilhelm „jnn furstliche verwarung aus notdurfthigen ursachen genomen.“ Diese Ursachen benennt er in der Druckschrift explizit als Wilhelms angebliche Pläne, ihn aus dem Land zu vertreiben und als Regent ersetzen zu wollen.

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Heinrich rechtfertigt sein Vorgehen gegenüber seinem Cousin Heinrich von Mecklenburg, 1524. Die „furstliche verwarung“ findet sich in Zeile 6. Landesarchiv Schwerin 2.11-2/1 3046, Bl. 170, Ausschnitt. Foto: Maren Schaefer.

Nachdem Heinrich nun beteuert hatte, Wilhelm nicht um sein Erbe bringen zu wollen, tat er anschließend genau das. Während Wilhelm an einem unbekannten Ort weiter in Verwahrung blieb, traf Heinrich Vorkehrungen, um seine Stellung als Alleinherrscher im Fürstentum für sich und seinen ältesten Sohn zu sichern. Zu diesem Zweck musste Wilhelm jedoch seine Herrschaftsansprüche aufgeben. Zwölf Jahre hatte Wilhelm in Gefangenschaft seines Bruders verbracht. 1535 erhielt er seine Freiheit wieder – im Austausch für die Unterschrift auf Heinrichs Primogeniturregelung.

Wilhelm versuchte nach seiner Freilassung, den Vertrag anzufechten. Er gab ein juristisches Gutachten in Auftrag, in dem Heinrich vorgeworfen wurde, Wilhelm „gantz beschwerlich“ und „ohne alle ursachen gefänglichen enthalten“ zu haben. Die Zustimmung zum Vertrag sei daher unter Zwang geschehen und nichtig. Doch Wilhelms Bemühungen blieben erfolglos.

Die familiale Gefangennahme ist, so drastisch sie erscheinen mag, nur eine von vielen Möglichkeiten, über die Begrenzung von Bewegungsradien auf Familienmitglieder einzuwirken. Und sie war oftmals nicht das erste Mittel, zu dem gegriffen wurde. Im 15. Jahrhundert wurde Agnes von Baden erst der Zutritt zur Residenz ihres Bruders untersagt, bevor sie nach einer unerwünschten Kontaktaufnahme mit einem früheren Liebhaber inhaftiert wurde. Sie wurde also erst aus- und dann eingesperrt. Und auch Heinrich schränkte zunächst Wilhelms Reisemöglichkeiten ein, bevor er von dessen Plänen erfuhr und ihn gefangen nahm. Die Verwahrung war eine schwerwiegende Eskalation in der Einschränkung der – im Adel stets reglementierten – Reise- und Bewegungsfreiheit. Eine Beschreibung dieses komplexen Phänomens in all seinen Facetten ist bisher ausgeblieben – und daher Thema meines Dissertationsprojekts.


Titelbild: Die Plassenburg, in: Zeiller, Martin: Topographia Franconiæ, Das ist, Beschreibung, Und Eygentliche Contrafactur der Vornembsten Stätte, Und Plätze des Franckenlandes, und Deren, die Zu Dem Hochlöblichen Fränkischen Craiße gezogen werden, Frankfurt am Main: Merian 1656. HAB Wolfenbüttel: M: Cd 4° 67, http://diglib.hab.de/drucke/cd-4f-67/start.htm?image=00059a.

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