Christian II. von Anhalt (geb. 1599) hat uns in Gestalt seiner Tagebücher, die mit gewissen Lücken die Zeit von den frühen 1620er Jahren bis zu seinem Tod 1656 dokumentieren, ein Selbstzeugnis hinterlassen, das für die Epoche des Dreißigjährigen Krieges durch seinen enormen Materialreichtum und seine Intimität fast konkurrenzlos dasteht. Der Vortrag setzt sich vor allem mit der komplexen Persönlichkeit des Tagebuchschreibers auseinander. Adliger Kosmopolit und doch überzeugter deutscher Reichspatriot, glaubensfester reformierter Protestant und dennoch ab 1622 meist kaisertreu und ein Gegner bewaffneten Widerstandes gegen die prokatholische Politik Wiens, ist er nicht leicht in eine der üblichen Schubladen einzuordnen.

In gewisser Weise war er ein Grenzgänger zwischen den verfeindeten Lagern im Krieg. Dabei stand sein ganzes Leben im Schatten seines Vaters (gest. 1630), des Architekten der kurpfälzischen Politik vor 1618 und während der böhmischen Wirren der Jahre 1618-20. Zwar war Christian I. mit seiner Politik am Ende komplett gescheitert, aber als Freund Heinrichs IV. von Frankreich und wichtiger reformierter Staatsmann hatte er mehr als 25 Jahre lang zu den prominentesten Figuren der Politik in Deutschland, ja in Europa gehört. Ein ruhmreiches Andenken war ihm also trotz seiner Misserfolge sicher. Das Leben seines ältesten Sohnes war daher auch durch den Versuch geprägt, seinem Vater nachzueifern. Aber trotz aller Bemühungen erhielt er nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 (in der er in Gefangenschaft geraten war) niemals wieder ein militärisches Kommando übertragen, weder vom Kaiser, noch vom polnischen König oder anderen Kriegsherren.

In späteren Jahren sah er sich zunehmend selbst als Versager und als gescheitert an. Vielleicht legte er gerade deshalb so ausführlich über sein Leben in seinem Tagebuch Rechenschaft ab. Seine Diarien bieten jedenfalls faszinierende Einblicke nicht nur in das Kriegsgeschehen in Mitteldeutschland, das höfische Leben am Kaiserhof und am Hof der Winterkönigin in den Niederlanden, sondern auch in das Selbstverständnis eines mindermächtigen Reichsfürsten dessen Adelsstolz und Geltungsstreben immer wieder an die Grenzen stieß, die ihm seine relative Machtlosigkeit und seine relativ geringen Ressourcen setzten.

 

Bild: Porträt Fürst Christians II. von Anhalt-Bernburg
[Bildnachweis: Museum Schloss Bernburg, Gemäldesammlung, Inv. Nr.: VIa/59/44; Aufnahme: Fotostudio Creativ, Bernburg.]