Rundgang

 

 

 

 

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III. Öffentlichkeit und Obrigkeit: Kommunikation, Angst und Krisenbewältigung in Seuchenzeiten

"Man sahe das gantze Monat umb Wienn, und in Wienn nichts als Tode tragen, Tode führen, Todte schlaiffen, Todte begraben", beklagte der Augustiner-Barfüßermönch Abraham a Sancta Clara (1644-1709) bildhaft und wortgewaltig die schrecklichen Auswirkungen, welche ein überraschender Pesteinbruch 1679 nach Wien brachte. Nachrichtenblätter, Kalender und Flugschriften trugen die Kunde vom dort wütenden Sterben weit ins Land. Neben der aktuellen Berichterstattung verbreitete das Nachrichtenwesen ohnehin das ganze Jahr hindurch Sensationsberichte über Vorboten nahenden Unglücks: über Krieg, Hunger und die Pest. In der Mehrzahl waren dies Himmelserscheinungen wie Kometen. Vielleicht hatten auch die "nachdenklichen Zeichen" aus Wolfenbüttel, von welchen die Meßrelationen im Herbst 1679 berichteten, vor der nach Norden ziehenden Pest gewarnt? Am Himmel soll sich "eine schwarze Wolcke" gezeigt haben "[...] mit einem Menschen mit einer Sense in der Hand, weit umb sich mähend" [1]. Wie dem auch sei, die Pest, welche 1679 aus Ungarn nach Wien, 1680 nach Prag und Dresden gekommen war, stand im gleichen Jahr auch vor den Toren der norddeutschen Städte. Obwohl die Obrigkeit sogleich strenge Maßnahmen - verkündet in gedruckten Erlassen - ergriff, war der Einzug der Seuche in das braunschweigische Herzogtum nicht zu verhindern. Mit dem Auftreten der ersten Pestfälle galt es nun, durch geeignete Sofortmaßnahmen das Schlimmste zu verhindern. Der mittlerweile im städtischen Informationswesen fest etablierte Buchdruck wurde zu diesem Zweck intensiv genutzt: in schneller Folge erschienen in Braunschweig, Wolfenbüttel und anderen Städten Verordnungen und Kleinschriften, die Verhaltensregeln für die Bevölkerung empfahlen und vorschrieben. Viele solcher sonst in gelehrten Sammlungen vernachlässigten "Akzidenzien" befinden sich in dicken Sammelbänden im Bestand der Herzog August Bibliothek. Sie dokumentieren die Besorgnis der Stadtverwaltung und die massiven Einschränkungen für die Bevölkerung in Seuchenzeiten. Zugleich vermitteln sie uns ein realistischeres Verständnis von der Furcht in diesen Zeiten: es herrschte nicht überall und immer kollektive Panik; ein "eingespieltes" Krisenmanagement seitens der Obrigkeiten versuchte dies zu verhindern. Auch jener gerne pauschal genannte völlige Sittenverfall im persönlichen Verhalten, für den immer wieder das Bild der ihre Kinder im Stich lassenden Eltern bemüht wird, ist nicht die alleinige Wahrheit. In der gedruckten Überlieferung, wie den Leichenpredigten, lesen wir von intensivem Mitgefühl und Barmherzigkeit, die sich u.a. in der gefahrvollen Pflege der Schwestern, Brüder, Eltern oder Kindern niederschlug.


[1] So ein Hinweis in einer Meßrelation von 1679: Relationis Historicae ... Historische Beschreibung der denckwürdigsten Geschichten, so sich in Hoch- und Nieder-Teutschland ... dieses lauffenden 1679. Jahrs ... glaubhaft zugetragen. Frankfurt/ M.: Latomus 1679, S. 77.

 
 

 

© Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2005