Einführung

 

 

 

 

Niemand von uns hat das Wüten von Seuchen erlebt, das den Pockenepidemien des 18. und 19. Jhs., geschweige denn den Pestausbrüchen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit vergleichbar wäre. ? Dennoch erlangen besiegte Krankheiten wie Pest und Pocken ohne Probleme auch Anfang des 21. Jahrhunderts noch den Rang einer der schlimmsten vorstellbaren Natur-Katastrophen der Menschheit. Obwohl wir - mit der Ausnahme von AIDS - in der westlichen Welt die Seuchen eigentlich nur noch als Gegenstand von Erzählungen über frühere Zeiten kennen, sind sie - namentlich die Pest - wie keine andere Krankheit als Metapher und Synonym für größtmöglichen Schrecken und den Untergang schlechthin im kulturellen Gedächtnis der Menschheit verankert. So "hassen" wir - auch heute noch - "etwas wie die Pest", wenn wir größte Distanz oder Abscheu ausdrücken wollen.

Begleiteten ansteckende Krankheiten die Menschheit von alters her, so sind sie in besonderem Maße mit der großen Pandemie der Pest in der Mitte des 14. Jhs. in das allgemeine Bewußtsein Europas gerückt - etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung soll diesem Seuchenausbruch zum Opfer gefallen sein. Es ist vor allem dieses Massensterben, das auch heute noch die Erinnerung an die Geschichte der Seuchen prägt. Weniger bekannt ist vielleicht, daß die Menschen in der Frühen Neuzeit - etwa Mitte des 15. bis Ende des 18. Jhs. - mit der ständigen Präsenz von zahlreichen Infektionskrankheiten konfrontiert waren. Nicht nur die Pest, die in regelmäßigen Wellen bis zum Anfang des 18. Jhs. Europa durchzog, auch Typhus und andere Durchfallerkrankungen, Fleckfieber, Pocken, Syphilis, der sog. englische Schweiß, also auch Krankheiten, die wir heute nicht mehr kennen, gehörten dazu: Infektionskrankheiten mit epidemischen Ausmaßen zählten in dieser Zeit quasi zu den Alltagserscheinungen im Leben der Menschen.

Die Herzog August Bibliothek als eine im 16. Jahrhundert begründete und im folgenden systematisch ausgebaute Universalbibliothek bezeugt mit ihren Beständen diese Allgegenwart von ansteckenden Krankheiten in den vergangenen Jahrhunderten: finden wir in der historischen Sammlung doch zahlreiche und verschiedenartigste gedruckte Quellen, die sich mit dem Phänomen auseinandersetzen. Das Konzept zur Ausstellung ließ sich von dieser Vielfalt der Quellen leiten. So werden Seuchen nicht nur als medizinisches Phänomen der Geschichte präsentiert, - auch die emotionalen, sozialen und kulturellen Aspekte dieser Krankheiten werden aufgegriffen.

Angesichts ihrer ungeheuren Ausmaße und Folgen wurden die Pest und andere ansteckende Krankheiten nicht nur von Theologen als Strafe Gottes für die sündige Menschheit zugleich verurteilt und metaphysisch gerechtfertigt. Der Titel der Ausstellung "Gotts verhengnis und seine straffe" läßt diese Sichtweise prominent in Erscheinung treten. Es handelt sich dabei um ein Zitat aus einer der bekanntesten theologischen Schriften über die Seuchen: Martin Luthers Ob man vor dem Sterben fliehen möge, 1527 erstmals im Druck erschienen. Luther setzt sich hier mit der Pest als Strafe Gottes auseinander und diskutiert zugleich, ob man sich als guter Christ einer solchen Gottesprüfung aussetzen muß oder vor ihr fliehen darf. Unabhängig vom religiösen Credo, das in dieser Formulierung steckt, reflektiert sie die unbedingte Ohnmacht, welcher sich die Menschen diesen Krankheiten gegenüber ausgesetzt fühlten.

Die hier im Internet präsentierten Exponate und Beschreibungen bilden eine Auswahl von Stücken aus der Ausstellung. Auf die Nummern des gedruckten Kataloges, der beim Besuch der Ausstellung oder über den Buchhandel erworben werden kann, wird verwiesen. Zum weiteren Studium dieser interessanten Quellengattung bietet die Wolfenbütteler Digitale Bibliothek einen bequemen Zugang zu zahlreichen digitalen Faksimiles von Seuchschriften.


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© Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2005