Einführung

 

 

 

 

 

Litauische Sprache und Geschichte

Die litauische Sprache gehört zu den indoeuropäischen Sprachen und bildet zusammen mit dem Lettischen die baltische Sprachengruppe. Andere baltische Sprachen wie Selisch, Semgallisch, Gallindisch, Jotwingisch, Kurisch und Altpreußisch (Prußisch) haben nicht bis heute überlebt. Auf Altpreußisch sind schriftliche Dokumente überliefert worden.
Die baltischen Sprachen formierten sich als Dialekt des nördlichen Proto-Indoeuropäischen, zu dem auch urslawische und urgermanische Dialekte gehörten. Die sog. Baltia antiqua (das Areal der Urbalten) lässt sich anhand von Gewässernamen im Territorium von der Elbe bis zum Oberlauf der Wolga aufspüren. Seit dem 3. Jahrhundert nach Christus kann man von zwei getrennten Dialekten sprechen: dem Urlitauischen und dem Urlettischen. Von seiner Struktur her ist das Litauische vermutlich die archaischste heute noch gesprochene indoeuropäische Sprache.

Zum ersten Mal wurde der Name Litauens 1009 in den Annales Quedlinburgenses erwähnt: Am 9. März wurde der Heilige Bruno von Querfurt während seiner Mission in Preußen in confinio Rusciae et Lituae mit 18 Gefährten von Heiden enthauptet (Sanctus Bruno qui cognominantur Bonifacius archiepiscopus et monachus XI suae conversionis anno in confinio Rusicae et Lituae a paganis capite plexus cum suis XVIII, VII Id. Martii petijt coelos).
Von allen europäischen Ländern wurde Litauen als letztes christianisiert. Anfang des 13. Jahrhunderts vereinigte Mindaugas die litauischen Siedlungsgebiete zu einem Staat. 1251 wurde Mindaugas getauft und am 6. Juli 1253 ließ er sich zum König krönen. Nach mehreren Konflikten zwischen den niederlitauischen Fürsten und dem Deutschen Orden wurde Mindaugas 1263 ermordet und Litauen kehrte zum Heidentum zurück.

Erst 150 Jahre später wurde die Christianisierung Litauens abgeschlossen. Der litauische Großfürst Jogaila (pol. Wladyslaw II. Jagiello) wurde 1385 zum König des christlichen Polen gekrönt. Voraussetzung für diese Personalunion war die Allianz Polens und Litauens gegen den Deutschen Orden. Daraufhin (1387) wurde Litauen christianisiert. Nach der Schlacht von Tannenberg (Grünwald, 1410) nahm 1413 auch Niederlitauen (Samogitien) das Christentum an.

Im 16. Jahrhundert war der litauischsprachige Raum politisch und konfessionell zweigeteilt. Das katholische Großfürstentum Litauen - Magnus Ducatus Lithuaniae - wird nach seinem lateinischen Namen Lithuania Maior auch Großlitauen genannt. Seit 1563 galt dort das von König und Großfürst Sigismund II. August erlassene Privileg über die Gleichstellung der drei christlichen Konfessionen - der Katholiken, der Russisch-Orthodoxen und der Protestanten (Lutheraner und Reformierte). Nach der 1569 mit dem Königreich Polen geschlossenen parlamentarischen Union wurde die religiöse Toleranz im gesamten Reich anerkannt und ging 1588 in den Gesetzeskodex des Großfürstentums Litauen - das Dritte Litauische Statut - ein. Die sog. Republik der zwei Nationen existierte bis 1795.
Die mündliche Form der litauischen Sprache fungierte im 15. und frühen 16. Jahrhundert als eine der anerkannten diplomatischen Sprachen Osteuropas, die amtliche Schriftsprache im Großfürstentum Litauen war dagegen eine besondere Kanzleiform der slawischen Sprachen, nämlich ein mit Lituanismen und Polonismen vermischtes Weißrussisch. Der älteste bis jetzt bekannte litauische Text sind drei handschriftliche Gebete (Vaterunser, Ave Maria und Credo) auf dem letzten Leerblatt des 1503 in Straßburg edierten Tractatus sacerdotalis von Nicolaus de Blony (Universität Vilnius: VUB RS II - 3006).

Der litauischsprachige Teil des evangelischen Herzogtums Preußen (seit 1525) lag im Nordosten dieses Landes. Das Territorium, das weiter im Nordosten an das Großfürstentum Litauen grenzte und sich nach Westen entlang des Kurischen Haffs bis einschließlich der Halbinsel Samland erstreckte, wird nach seinem lateinischen Namen Lithuania Minor auch Kleinlitauen genannt. Der litauische Teil Preußens ist auch als Preußisch-Litauen bekannt. Dieser seit dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts von Litauern besiedelte Teil Preußens hatte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine rasch wachsende litauische Bevölkerung (u. a. in den Ämtern Ragnit, Insterburg, Memel, Tilsit, Labiau, Schaaken, Gumbinnen und Laukischken).
Herzog Albrecht von Hohenzollern (1490 - 1568) von Brandenburg-Ansbach, ab 1511 der 34. und letzte Hochmeister des Deutschen Ordens und ab 1525 (nach der Auflösung des Ordens) der erste Herzog von Preußen, machte das Herzogtum zu einem der bedeutendsten Zentren des Protestantismus im Norden. Sein politischer und konfessioneller Einfluss reichte nicht nur über das gesamte Baltikum, sondern durch seine Heirat mit Dorothea von Holstein-Dänemark (1526) sogar bis Skandinavien. Seine zweite Frau war Anna Maria von Braunschweig (1552).
Unter Albrechts Regierung wurde die Stadt Königsberg zu einer Stätte des Buchdrucks in deutscher, polnischer, litauischer, lettischer und altpreußischer (prußischer) Sprache. Er gab Litauern, Preußen und Polen - neben der deutschen die drei größten Bevölkerungsgruppen des Herzogtums - das Privileg, am Königsberger Gymnasium (1541) und an der Königsberger Universität (1544) zu studieren und unterstützte die Vorbereitung und den Druck von Schriften in diesen Sprachen. Die Reformation in Preußen bewirkte, dass die Volkssprachen zu einem der wichtigsten Mittel des Religions- und Kulturtransfers wurden.

In Großlitauen galt Latein weiterhin als Gelehrten- und Kirchensprache. Das 1570 gegründete Jesuitenkollegium in Vilnius wurde 1579 zur östlichst gelegenen Universität Europas. Das erste gedruckte Buch auf Litauisch im Großfürstentum Litauen war der katholische Katechismus des spanischen Jesuiten Jakob Ledesma, der 1595 in Vilnius in der Übersetzung von Mikalojus Dauksa (1527/1538 - 1613) erschien. Die Geschichte der litauischen Drucksprache begann in Großlitauen fast fünfzig Jahre später als in Preußen.


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Litauisches Schrifttum im Herzogtum Preußen im 16. Jahrhundert

1547 Das erste litauische Buch - Der evangelische Katechismus (Königsberg: Hans Weinreich, am 8. Januar) von Martinus Mosvidius (lit. Martynas Mazvydas, ca. 1520 - 1563), Stipendiat des Herzogs Albrecht an der Königsberger Universität (1546 - 1548) und ab 18. März 1549 Pfarrer in Ragnit. Der Katechismus ist eine Übersetzung auf der Grundlage der polnischen Version des Kleinen Katechismus Luthers von Jan Seklucjan (1545) und Jan Malecki-Sandecki (1546) und der lateinischen Ausgabe von Georg Sauromann (1529). Der litauische Katechismus enthält 11 geistliche Lieder mit Noten
1549 Giesme S. Ambraßeijaus (Hymne des Ambrosius Te Deum laudamus) von Martinus Mosvidius. Der Text ist mit Noten versehen. Das in Königsberg bei Hans Weinreich (am 20. April) erschienene Büchlein enthält 2 Osterlieder.
1559 Forma Chrikstima - Martinus Mosvidius' Übersetzung (Königsberg: Hans Daubmann) des Taufformulars aus der dritten Preußischen Kirchenordnung (1558). Als Vorlage diente vermutlich der separat gedruckte Auszug Von der Tauff, der seit dem zweiten Weltkrieg als verschollen gilt.
1566/1570 Gesmes Chriksczoniskas - Christliche Lieder. Zweiteiliges Gesangbuch mit Noten für das Kirchenjahr (Königsberg: Hans Daubmann), das von Martinus Mosvidius vorbereitet und von Bartholomäus Willent (lit. Baltramiejus Vilentas, ca. 1525 - 1587), ab 1550 Pfarrer der litauischen Gemeinde in Königsberg, zusammengestellt und redigiert wurde. Als Grundlage der Sammlung dienten das Lutherische Gesangbuch (1553) und die Geistlichen Lieder (1545; sog. Babstsches Gesangbuch), die Psalmodia von Lucas Lossius (1553) und das polnische Gesangbuch von Jan Seklucjan (1559). Bei einigen Liedern sind die Übersetzer angegeben, wodurch sie sich in die Zeit zwischen 1550 und 1560 einordnen lassen.
ca. 1572 Handschriftlicher Text der Eidesformel Albrecht Friedrichs, Herzog von Preußen (1568 - 1577). Die Ämter Ragnit, Tilsit und Memel werden verpflichtet, den Lehnseid von Polen entgegen zu nehmen. Die Übersetzung aus dem Deutschen ist anonym. (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin)
1573 Ischguldimas Euangeliu per wisus mettus - Handschrift der Wolfenbütteler Postille - Die erste litauische Predigtsammlung Auslegung der Evangelien durch das ganze Jahr. Die anonyme Predigtsammlung ist eine Abschrift, die 1573 - 1574 von dem litauischen Pfarrer in Georgenburg Johannes Bielauk (lit. Jonas Bylaukis, ca. 1540 - 1603) fertig gestellt wurde.
1578 Zwei Mandate (Flugschriften) Georg Friedrichs, Markgraf von Brandenburg-Ansbach und Herzog von Preußen (1577/78 - 1603), vom 6. Dezember an die Ämter Tilsit und Ragnit, betreffend Hexerei und Kirchgang. Die Übersetzung aus dem Deutschen ist anonym.
1579 Enchiridion, Catechismas maszas - Bartholomäus Willents Übersetzung (Königsberg: Georg Osterberger) des Lutherischen Kleinen Katechismus, in die er einige Teile des Katechismus von Martinus Mosvidius einarbeitete. Der Willentsche Katechismus wurde wahrscheinlich zum ersten Mal 1575 veröffentlicht.
1579 Euangelias bei Epistolas - Die Evangelien- und Epistelnperikopen für das Kirchenjahr von Bartholomäus Willent (Königsberg: Georg Osterberger). Das Perikopenbuch Willents enthält die ersten gedruckten Evangelien- und Epistelntexte in litauischer Sprache.
1579 - 1590 Gesamte Bibelübersetzung von Johannes Bretke (lit. Jonas Bretkunas, 1536 - 1602), ab 1562 litauischer Pfarrer in Labiau und ab 1587 Nachfolger Willents in Königsberg. In Labiau übersetzte Bretke das Neue Testament und den Psalter. Seine Übersetzung begann er mit dem Lukasevangelium, das er aus dem lateinischen NT übersetzte. Als Nebenvorlage diente Luthers Separatausgabe des NT von 1546. Die Hauptvorlage für das restliche NT war Luthers NT. Bretke berücksichtigte auch das griechische Original. Für das Alte Testament diente Luthers Bibel als Hauptvorlage, die hebräische Bibel wurde ebenfalls berücksichtigt. Bretke hat seine Übersetzung bis zu seinem Tod 1602 korrigiert: Allein im NT gibt es über 10.000 Korrekturen aller Art. Seine sprachwissenschaftliche Genauigkeit war eines der Hindernisse für die Fertigstellung eines druckreifen Manuskriptes. Außer Bretkes eigenen gibt es in der Handschrift über 1.500 Korrekturen und Vorschläge von sieben zeitgenössischen und späteren Korrektoren. Bretkes Bibel blieb unediert, diente aber als Vorlage für spätere Bibeleditionen. (Das achtbändige Werk wird im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin aufbewahrt: GStA PK, XX. HA StA Königsberg StUB Königsberg, Nr. 44 - 51)
1584 Handschriftlicher Text der Eidesformel, ins Litauische übersetzt von Johannes Bretke. (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin)
1589 (1)Giesmes Duchaunas - Geistliche Lieder, das Gesangbuch von Johannes Bretke (Königsberg: Georg Osterberger). Von 76 Liedern (teilweise mit Noten) sind 42 aus Martinus Mosvidius' Gesangbuch übernommen, für andere dienten Luthers Geistliche Lieder (1561) als Vorlage.
(2) Paraphrasis - Als Anhang des Gesangbuches edierte Bretke zum ersten Mal die Auslegung des Vaterunsers und der Einsetzungsworte des Abendmahls von Martinus Mosvidius.
(3) Kancionalas - Das Gesangbuch von Bretke enthält 17 Lieder mit Noten (Königsberg: Georg Osterberger).
(4) Kollectas - Das Gebetbuch von Johannes Bretke, übersetzt aus dem Deutschen (Königsberg: Georg Osterberger).
Am Ende des einzigen erhaltenen Konvolutes (Universitätsbibliothek Uppsala: 123:322) stehen 14 handschriftliche Liedertexte von Johannes Bretke (?).
1589 Mandat Georg Friedrichs vom 22. September gegen umherziehende Schotten. Die Übersetzung aus dem Deutschen ist anonym.
1591 Postilla - Die Hauspostille von Johannes Bretke (Königsberg: Georg Osterberger) ist die erste gedruckte Predigtsammlung in litauischer Sprache. Die aus dem Perikopenbuch Willents übernommenen Perikopentexte hat Bretke überarbeitet. Die Predigttexte wurden zum großen Teil original verfasst.
1600

(1) Zemczuga Theologischka - Die Übersetzung (Königsberg: Georg Osterberger) des lateinischen Traktates von Adam Francisci Margarita Theologica (Erstausgabe ca. 1592) von dem Pfarrer in Ragnit Simon Waischnarus (lit. Simonas Vaisnoras, ca. 1545 - 1600). Das Buch ist mit zwei original verfassten litauischen Vorworten von Waischnarus und von dem Pfarrer in Tilsit Zacharias Blothno versehen. Das Buch enthält zwei weitere Übersetzungen Waischnarus':
(2) Apie dusches - Die Übersetzung des Kapitels "De statu animarum" aus dem Compendium Theologiae (Erstausgabe ca. 1573) von Jakob Heerbrand.
(3) Apie popieszischkaie missche - Die Übersetzung des Kapitels "De Missa Pontifica" aus dem Traktat Articulus sive Locus de Sacramentis Veteris et Novi Testamenti (Erstausgabe ca. 1590) von Aegidius Hunnius. Jeremias Vietors deutsche Übersetzung desselben Traktates Der Artikel von den Sacramenten (1591) wurde ebenfalls berücksichtigt.

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