Otfrid von Weissenburg: Althochdeutsches Evangelienbuch

 

 

 

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Pergament. 10 Blatt. 26,5 x 22,5 cm. Mainz (?) Anfang des 10. Jahrhunderts
Codex Guelferbytanus 131.1 Extravagans,6v-7r

Otfrid von Weissenburg, ein Schüler des Hrabanus Maurus, wirkte ab etwa 825 als Mönch und Priester in Weissenburg. Sein episches ‚Leben Jesu' hat er zwischen 863 und 871 geschrieben, damit auch die Franken in ihrer eigenen Sprache eine Dichtung besäßen, die den Vergleich mit Dichtern wie Vergil, Lukan oder Ovid aufnehmen könnten. Er entwickelte darin eine völlig neue Metrik, indem er erstmals an Stelle des germanischen Stabreims (vgl. z.B. das Hildebrandslied: Hiltibrant enti Hadubrant unter herian tuem) den Endreim setzt (z.B. Thar was ein man alter, zi salidon gizalter). Der Text ist in Langzeilen aufgeteilt, dabei beginnen die ungeraden Verszeilen mit einer roten Initiale, die geraden werden nach rechts eingerückt. In jeder Zeile gab es vier Hebungen, die durch Akzente angedeutet wurden. In unserer Handschrift sind für den Vorleser die Akzente durch dünne Striche über den Zeilen vermerkt.
Otfrid unterbricht die Nacherzählung des Leben Jesu häufig durch kommentierende Passagen, die mit spiritualiter, gelegentlich mystice und moraliter überschrieben sind und in denen er den Sinn des Textes nach seinem Verständnis erläutert. Für den mittelalterlichen Theologen gab es neben dem Wortsinn des biblischen Textes zum Beispiel auch die Möglichkeit einer allegorischen Deutung. So galt etwa Jerusalem auch als Metapher für das Paradies, das himmlische Jerusalem.
Die Handschrift wurde im späten Mittelalter für wertlos befunden und als Material für die Produktion anderer Kodizes verwendet. Erst im 18. Jahrhundert wurde ein Teil der Blätter wieder entdeckt. Sie waren in den Einband eines Kodex eingeklebt worden. 1935 wurden weitere Fragmente gefunden.

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