In seinem Vortrag wirft Dirk Niefanger einen ›diversen‹ und damit abweichenden Blick auf Lessings Gesamtwerk, insbesondere auf die Texte Lessings, die von der Forschung bisher vernachlässigt wurden. Lessings Werk sei kein einheitliches, stimmiges Ganzes, sondern heterogen, von unterschiedlichen, zum Teil auch widersprüchlichen Aspekten geprägt – eben divers.

Spätestens seit die Bezeichnung ›divers‹ in die deutsche Amts- und Rechtssprache eingegangen ist, kursiert sie in der Medienwelt vor allem als Modewort und beinahe ausnahmslos als Ausdruck für Menschen, die intergeschlechtlich, transgeschlechtlich oder nicht-binär sind. Der aus dem Lateinischen stammende Begriff ›diversus‹ bedeutet zunächst ›verschieden‹, ›ungleichartig‹ oder ›abweichend‹.

Genau diese Wortbedeutungen nimmt Niefanger zum Anlass, um Lessings bekannteste, vor allem aber seine nahezu vergessenen Veröffentlichungen unter die Lupe zu nehmen. Lessing porträtiere – so eine der entscheidenden Thesen Niefangers – in seinen Theaterstücken, Gedichten und Prosatexten Zwischenräume gesellschaftlichen Zusammenseins. Beispielsweise würden sich Mitglieder des Adels- und Bürgermilieus nicht bloß in ihren eigenen (adligen oder bürgerlichen) Sphären bewegen, vielmehr würden sich ihre Aktionskreise überschneiden und wechselseitig durchdringen. Vor diesem Hintergrund lote Lessing auch Genderformationen aus oder stelle Juden nicht einfach eindimensional als ideale, edle Juden dar, sondern als realistische Mitmenschen.

Mit seiner Studie beschreitet Niefanger neue Wege: er revidiert nicht nur bisherige Forschungsergebnisse, seine treffsicheren Analysen zeigen, dass Lessing nicht immer der Autor gewesen ist, als der er bis heute gilt.