14. Mai 2025
Keine Frage: Die damaligen Initiatoren des Stipendienprogramms hatten Großes im Sinn, als sie das Wolfenbütteler Förderprogramm initiierten. Das belegt nicht zuletzt eine Kampagne, mit der man die Gründung bewarb. Es gab eine Pressemitteilung, die im Dezember 1974 an rund 500 Zeitungen verschickt wurde. Zusätzlich gingen 1.800 Merkblätter – freilich auf dem Postweg – an bekannte akademische Institutionen, befreundete Partnereinrichtungen und Einzelpersonen. Diese großangelegte Kampagne mündete in einer Reihe von Rundfunkinterviews mit dem damaligen Direktor Paul Raabe. Über diese berichtete die Bibliothek wiederum in ihrem ab 1976 veröffentlichen Hausmagazin, den „Wolfenbütteler Bibliotheksinformationen“.
Die Gründung des Programms wurde durch die Stiftung Volkswagenwerk ermöglicht, die einen wissenschaftlichen Beirat für die Stipendienauswahl bestellte. Ab 1981 übernahm das Land Niedersachsen die Trägerschaft, und im Laufe der Jahre kamen weitere Stipendienformate hinzu, vor allem auf Initiative privater Stifter*innen.
Für das Programm gab es nur wenige Vorbilder, und so waren auch die Verfahren sehr im Fluss. Während heute ein beschreibbares Textdokument als Bewerbungsformular dient, sandte man damals formlose Briefe an den Beirat. Eine Bewerbungsfrist gab es nicht. Explizite Aufforderungen zur Bewerbung waren die Regel. Kaum mehr vorstellbar ist die Praxis, dass Bewerbende bei Unklarheiten bezüglich der Förderungsfähigkeit mehrfach kontaktiert und Bewerbungen in einem Hin und Her von Fragen und Modifizierungen ausgehandelt wurden. Mehr noch: Man kam zwischenzeitlich überein, dass sich Bewerbende vor Ort vorstellen sollten, um deren menschliche und persönliche Befähigung besser einschätzen zu können. Der zeitliche Aufwand, der bei der Realisierung eines solchen Vorhabens anfällt, ist nur ein Grund, weshalb ein solches Vorgehen heute nicht mehr überzeugt – und warum nun die Entscheidung auf Grundlage der schriftlichen, formalisierten Bewerbung getroffen wird. Übrigens legte man eine Residenzpflicht, wie wir sie heute (noch) haben, nicht fest. Vielleicht bedurfte es einer solchen Restriktion damals gar nicht, denn Digitalisate, die jetzt ein Arbeiten von auswärts erlauben, kannte man ja noch nicht.
Wo ein Programm noch im Werden ist, existiert auch wenig Infrastruktur. Mit großem Einsatz wurde dieser Mangel angegangen. Bereits 1974 konnte dem Beirat die Anmietung des sog. Anna-Vorwerk-Hauses bekannt gegeben werden. Das Haus ist immer noch das Herzstück des Stipendienprogramms, ein Ort, wo regelmäßige Kolloquien und andere Formen des Austauschs stattfinden und den Gästen Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Zusätzlich wurde eine Geschäftsstelle eingerichtet (die ab 1975 Sabine Solf und ab 1990 Jill Bepler leitete).
Alle Beteiligten hatten einen dezidiert internationalen Blick. Provinzialität sollte vermieden werden, hieß es. Die nationale Zusammensetzung der Geförderten bezeugt den Erfolg dieses Vorsatzes: Im zweiten Jahr des Programms wurden zwölf Personen aus sechs verschiedenen Ländern gefördert. Ein deutlicher Schwerpunkt lag bei den Vereinigten Staaten, aus denen vier Personen kamen.
Themenschwerpunkt bei der Auswahl war die europäische Kulturgeschichte. Dies ist ein zweischneidiges Erbe, das verstärkt wurde durch den damals der Bibliothek verliehenen Untertitel „Außeruniversitäre Forschungs- und Studienstätte für europäische Kulturgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“. Zweischneidig insofern, als wir nur allmählich beginnen, die Bedeutung der Bibliothek für eine Forschung fruchtbar zu machen, die weniger eurozentristisch ist. Zumindest aber im Hinblick auf die Diversität der Fellows entsprach Wolfenbüttel den so bewunderten amerikanischen Forschungszentren: Man wollte ein „Mini-Princeton“ in Wolfenbüttel sein, das weit über Niedersachsen hinausstrahlt.
Die Gründung des Stipendienprogramms war nur ein Bestandteil des größer angelegten Vorhabens, die Bibliothek, das entlegene „Bibliosibirsk“ (Paul Raabe) am Rande der damaligen Bundesrepublik, bekannter zu machen. In der Werbekampagne dazu hieß es, man leiste einen Beitrag „zur Vergegenwärtigung und Bewahrung der geistigen Werte der Tradition in der modernen Welt“. Diese Besinnung auf Vergangenes war in der zeitgenössischen Situation angezeigt. Man spielte damit auf den Ost-West-Konflikt an, aber wohl auch auf die Studentenprotestbewegungen der Zeit, die Einige als durchaus problematisch für eine selektive Forschungsförderung dieser Art erachteten.
Inzwischen besteht das Stipendienprogramm ein halbes Jahrhundert und versteht sich nicht so sehr als Bewahrer von Werten denn als Ort des lebendigen, kritischen (Wissens-)Austauschs über Fachdisziplinen und Ländergrenzen hinweg. Ein Bedarf daran bestand gewiss schon immer. Gerade in der heutigen Situation liegt darin ein Privileg, dessen wir uns sehr bewusst sind. Die Anerkennung für die Erfolgsgeschichte, die wir heute feiern, gebührt neben den Initiator*innen und fördernden Einrichtungen vor allem den Stipendiat*innen. Vielen Dank daher Ihnen allen und herzlichen Glückwunsch dem Stipendienprogramm!
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Zum 50-jährigen Jubiläum unseres Stipendienprogramms laden wir alle ehemaligen Stipendiat*innen und Wegbegleiter*innen der Herzog August Bibliothek herzlich ein, persönliche Erinnerungen, Eindrücke oder Glückwünsche mit uns zu teilen.
Was hat Ihre Zeit in Wolfenbüttel besonders gemacht? Welche Begegnungen, Projekte oder Momente sind Ihnen in Erinnerung geblieben?
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Flinga - 50 Jahre Stipendienprogramme an der HAB
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