Zum Problem wird diese Erwartung einer Vergegenwärtigung und Versinnbildlichung im Medium der Literatur aus zwei Gründen: Indem sie davon ausgeht, dass nur das in der Vorstellung gegebene Gegenstand der Repräsentation sei, entfallen Fiktion und Imagination, und was sich nicht in der Vorstellung findet, lässt sich auch nicht darstellen. Die Literatur selbst hat sich an diese Erwartung nicht gehalten, sich dafür aber den bereits von Platon formulierten Vorwurf neuerlich eingehandelt, sie lüge zu viel – ein Vorwurf, der in der sogenannten gegenwärtigen Krise der Repräsentation neue Aktualität erhalten hat.
Im Rahmen des Arbeitsschwerpunktes „Was ist Literatur? Historische und systematische Perspektiven“ geht es um den Nachweis, dass der Zweifel, es bestehe eine Korrespondenz zwischen Repräsentant und Repräsentiertem bereits in der Frühen Neuzeit virulent ist und die Literatur diesen Zweifel in ihren poetologischen Selbstaussagen thematisiert. Dabei zeigt sich, dass schon die Literatur der Frühen Neuzeit durch die der Sprache eigenen rhetorischen Mittel die Konstruiertheit ihres Weltentwurfs markiert. ‚Wahrheit‘ literarischer Darstellung kann unter dieser Voraussetzung nur heißen, ihre Sprachlichkeit ernst zu nehmen, und das wiederum heißt: Literatur zu verstehen als einen fortwährenden Akt des Benennens von etwas, das selbst weder eindeutig noch objektiv noch inhaltlich fest und bestimmt ist. Unter dieser Voraussetzung erzeugt Literatur mit Hilfe von Sprache (utopische) Möglichkeitswelten, spielt experimentell verschiedene Versuche der Sinnstiftung durch – ein Prozess, der weder abschließbar ist noch je den Bereich des Kontingenten überschreitet.

Projektbeteiligte: PD Dr. Ulrike Zeuch