11. März 2020

Das Projekt widmete sich der bedeutendsten Akademie in Deutschland vor der Leibnizschen Kurfürstlich-Brandenburgischen Societät der Wissenschaften. Dabei ist die Fruchtbringende Gesellschaft (FG), der im Laufe ihres Bestehens 890 Mitglieder angehörten, kaum auf einen bündigen Begriff zu bringen: von Adeligen bis hinauf zu Reichsfürsten getragen und höfisch geprägt, und doch den bürgerlichen Ständen und der Gelehrtenkultur gegenüber offen und kooperativ, in ihrem Gründungsmilieu kaiserfern, oder sogar in entschiedener Opposition, aber reichspatriotisch und ständelibertär, in ihrer Mitgliederschaft vielseitig wissenschaftlich interessiert und rhetorisch geschult, aber doch keine Gelehrtengesellschaft oder Linguistenvereinigung, ganz überwiegend protestantisch, und doch irenisch und universalchristlich orientiert, der deutschen Sprache verpflichtet und doch international vernetzt unter dem exotischen Symbol der Kokospalme. Unausweichlich waren ihre Mitglieder in die zivilisatorische Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges verstrickt, und doch suchten und förderten sie überparteiliche Verständigung und Friedenschancen – ein Aktivposten in der Propagierung des ersehnten Universalfriedens, den die Fruchtbringer 1648 mit den Westfälischen Friedensschlüssen endlich feiern konnten.

Die FG wurzelte in ihren Zielen und Anliegen im europäischen Renaissance-Humanismus und seinen Akademien, die zunächst in Italien die Aufwertung der volgare, der Volkssprache, betrieben, um sie gesellschafts-, literatur- und wissenschaftsfähig zu machen. In Deutschland bildete die FG nach dem Modell der Accademia della Crusca den einflussreichsten Akteur dieser Bewegung, mit dem Ausbau der hochdeutschen Sprache auf allen Ebenen des Sprachsystems und der Beförderung einer kunstvollen deutschen Literatur auf der Höhe der Zeit. Der Crusca (dt. Kleie) verdankte die FG auch ihr Modell kritischer und verfeinernder Sprach- und Literaturarbeit: das Rüttelsieb, das das reine Mehl von der Kleie schied. Indessen greift, bei allen Leistungen und Verdiensten ihrer Sprach- und Literaturarbeit, die veraltete Formel von der „barocken Sprachgesellschaft“ für die FG in jeder Hinsicht zu kurz. Ihre fundamentale ethische Ausrichtung an verständigungsbereiter Kommunikation und am Gemeinwohl unter der Gesellschaftsdevise „Alles zu Nutzen“ weiteten ihren Wirkungsradius in die politische und soziale Kultur und lässt eine Art nationbuilding durch die politisch-konfessionellen Zerrüttungen des Reichs hindurch erkennen. Ihr reichfacettiertes Profil in Struktur, Programm und Wirkung macht die FG in ihrer Epoche zu einer in Deutschland und Europa einzigartigen Erscheinung.

Um der historischen Rolle der FG gerecht zu werden und sie stärker ins wissenschaftliche und öffentliche Bewusstsein zu heben, wurde früh der Plan zu einer umfassenden Edition ihrer Briefe und Quellen gefasst. Durch Martin Bircher, Leiter der damaligen Abteilung zur Erforschung des 17. Jahrhunderts, war die FG bereits seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ein Schwerpunkt im Forschungsbereich der Herzog August Bibliothek. Mit Klaus Conermann, University of Pittsburgh, trat ihm ein Forscher zur Seite, der ebenfalls seit den späten 70er Jahren bedeutende Studien zur FG und 1985 ein grundlegendes dreibändiges Kompendium zur Gesellschaft in ihrer ersten und produktivsten Phase unter Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen (1617–1650, 521 Mitglieder) vorgelegt hatte. Beide entwickelten 1986/87 das Projekt „Die deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts: Fruchtbringende Gesellschaft“, das im März 1988 unter Förderung der DFG und mit den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen Dieter Merzbacher, Andreas Herz und Gabriele Henkel seine Arbeit aufnahm. Es sah zunächst zwei Reihen (I: Briefe und Beilagen, II: Dokumente und Darstellungen) und drei chronologische Abteilungen vor (A: Köthen, 1617–1650; B: Weimar, 1651–1662/67; C: Halle: 1667–1680). Dieses Programm wurde noch durch die DFG auf die Reihe I, Abt. A: Köthen konzentriert.

Die Abt. C: Halle wurde 1997 mit drei Bänden beendet, zumal aufgrund von Birchers Ausscheiden aus dem Dienst der HAB im Dezember 1996 und seinem frühen Tod 2006 auch später die zwei noch persönlich geplanten Bände der Reihe II nicht mehr erstellt werden konnten. Schließlich gelang mit der Installierung des Projekts im Deutschen Akademienprogramm und der 2001 beginnenden Förderung in Trägerschaft der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW) die entscheidende Absicherung des Vorhabens. Die Arbeitsstelle verblieb an der HAB, die dem Vorhaben durch einen mehrfach ergänzten Kooperationsvertrag bis zum Schluss verbunden blieb. Neben dem Herausgeber und späteren Projektleiter Conermann umfasste die Arbeitsstelle die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen Andreas Herz und Gabriele Ball, später unterstützt von Nico Dorn und Alexander Zirr sowie Anne Dickel (heute Rieck) und Jürgen May (beide für die Retrodigitalisierung), sowie zeitweiligen Hilfskräften, Werkvertrags-Helfer*innen und Praktikant*innen.

Bis Ende August 2019 hat das Vorhaben zuzüglich zu den genannten drei Bänden der Abt. C: Halle in der Abt. A: Köthen 10 Bände in 13 Bänden vorgelegt und das Projekt planungsgemäß abgeschlossen. In diesen Bänden werden die grundlegenden Quellen zur Köthener Phase der FG vollständig und systematisch kritisch aufgearbeitet. Durch die Kontextualisierung und gründliche Kommentierung stellt die Briefe-Ausgabe nicht nur eine umfassende Dokumentation der zeitgenössischen Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der FG dar, sondern ein Geschichtskompendium der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, das mithilfe seiner vier kumulierten Register im Online-Portal des Projekts der Frühneuzeitforschung gleich welchen Fachs zahllose Informationen und interessante Quellenbefunde darbietet.

Darüber hinaus wurde und wird für jeden Editionsband (nach einer Schutzfrist von drei Jahren für die Druckausgabe) eine elektronische Ressource über den OPAC der HAB bereitgestellt. Der Initiative der Arbeitsstelle ist es auch zu verdanken, dass die wichtigsten Quellen mithilfe der HAB digitalisiert und über die Wolfenbütteler Digitale Bibliothek der weltweiten Nutzung zur Verfügung gestellt werden konnten. Nicht zuletzt sind weitere HAB-Projekte auf der Grundlage oder mit Unterstützung des FG-Projekts entwickelt und bearbeitet worden: vorab die 3-bändige Ausgabe der Briefe und Lebenszeugnisse des Martin Opitz (Prof. Conermann, Dr. Harald Bollbuck), das Repertorium des Andreae-Briefwechsels (HAB, Dr. Stefania Salvadori) und die bis 2025 durchgeführte digitale Edition der Tagebücher des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg (Uni Freiburg/ HAB, Dr. Andreas Herz, Dr. Alexander Zirr, Marcus Baumgarten bzw. Max Görmar). Weitere Forschungen durch den ehemaligen Projektleiter Conermann und ein Folgeprojekt zu den weiblichen Tugendgesellschaften im Umfeld der FG (Ball) sind geplant.

Insgesamt hat das Projekt in vielfältiger Weise seine Spuren an der HAB in Zusammenarbeit mit der Sammlung Deutscher Drucke 1601-1700, in Ausstellungen und sonstigen Veranstaltungen hinterlassen. Zahlreiche Publikationen sind aus der Arbeitsstelle hervorgegangen, einige von Ihnen wurden in dem aus Anlass des 400. Gründungsjubiläums der FG 2017 herausgegebenen Bd. 150 der Wolfenbütteler Forschungen zusammengetragen. All dies bleibt Ertrag jahrzehntelanger wissenschaftlicher Anstrengungen. Die Arbeitsstelle als ein Schwergewicht der Forschung an der HAB wurde zum 31.12.2018 aufgelöst. So bleibt es eine dringend gewünschte künftige Aufgabe, auch die zweite oder Weimarer Periode der FG (1651-1662/67) in ihren Quellen editorisch zu erschließen.

 

PURL: http://diglib.hab.de/?link=164

 

Der Autor

Dr. Andreas Herz war bis zu seinem Ruhestand im Dezember 2020 zugleich wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "Digitale Edition der Tagebücher von Herzog Ludwig Rudolf und Herzogin Christine Luise von Braunschweig-Wolfenbüttel" und im Projekt "Digitale Edition und Kommentierung der Tagebücher des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg (1599-1656)". Seine Forschungsschwerpunkte sind die Deutsche Sprachgeschichte des 17. Jahrhunderts und die Fruchtbringende Gesellschaft (1617-1680).

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