31. Mai 2022

Bis ins 12. Jahrhundert war das aus bearbeiteter Tierhaut hergestellte Pergament das einzige Material, aus dem in Europa Bücher hergestellt werden konnten. Erst im frühen 13. Jahrhundert war man in Italien und Spanien in der Lage, selbst Papier herzustellen; die erste Papiermühle auf deutschem Boden gründete 1390 der Großhändler, Fabrikant und Ratsherr Ulman Stromer in Nürnberg. Seither wurde das teure Pergament als Beschreibstoff immer mehr vom Papier abgelöst. Anders als ihre arabischen Kollegen versahen die europäischen Papiermacher ihr Papier mit bestimmten Wasserzeichen. Sie formten Figuren, Wappen, Gegenstände und Buchstaben aus Draht und integrierten sie in die zur Papierherstellung verwendeten Schöpfsiebe, sodass die Drahtmotive einen Abdruck im Papier hinterließen. Daher ist es heute möglich, anhand der in einem Buch befindlichen Wasserzeichen zu ermitteln, wann und wo das benutzte Papier hergestellt worden ist. Da das Papier in der Regel nicht auf Vorrat gekauft und gelagert, sondern zeitnah als Schreibmaterial verwendet wurde, kann so das betreffende Buch recht genau datiert werden.

Den Gedanken, Wasserzeichen als Hilfsmittel zum Datieren zu benutzen, formulierte als einer der Ersten der Naturforscher und Bibliothekar Gotthelf Fischer von Waldheim (1771–1853). 1804 erschien sein Versuch, die Papierzeichen als Kennzeichen der Altertumskunde anzuwenden. Darin beschrieb er verschiedene Motive von Wasserzeichen, die im Papier von datierten Urkunden vorhanden waren, und bildete sie zusammen mit den Jahreszahlen ab. Diesem Prinzip folgen bis heute die großen Wasserzeichensammlungen, z. B. die des Schweizer Papiermachers Charles-Moïse Briquet (1839–1918) und vor allem die des Historikers und Archivars Gerhard Piccard (1909–1989). Seine Sammlung, die im Hauptstaatsarchiv Stuttgart aufbewahrt wird, umfasst etwa 130.000 Karteikarten mit Abreibungen von Wasserzeichen. Beide zunächst gedruckt publizierten Sammlungen sind heute digital zugänglich. Seit 2010 fördert die DFG den Aufbau eines gemeinsamen europäischen Wasserzeichen-Informationssystems (WZIS), in dem neben Piccards Sammlung viele weitere Wasserzeichen aus den noch nicht erfassten Handschriften verzeichnet werden können.

Bevor das Wasserzeichen in die Datenbank übertragen wird, muss es zunächst abgerieben oder gescannt werden. Mithilfe des Atwise-Geräts (Austrian Watermark Imaging System) wird ein Foto jedes einzelnen Handschriftenblattes aufgenommen, sodass alle vorhandenen Wasserzeichen der Handschrift unmittelbar digital vorliegen. Der Scanbereich liegt bei 20,2 x 15cm und 200dpi, damit auch größere Wasserzeichen als Ganzes aufgenommen werden können. Eine Herausforderung stellen Handschriften dar, die sehr eng gebunden sind, da man den Scanner bis in den Falz führen muss. Bei Handschriften mit kleineren Formaten wurde das ursprüngliche Blatt in der Regel vor dem Beschriften gefaltet und auf die passende Größe zugeschnitten. Daher sind in solchen Handschriften und Drucken die Wasserzeichen teilweise zwei-, drei- oder sogar vierfach geteilt. Um ein solches Wasserzeichen rekonstruieren zu können, muss die Anordnung der Blätter im Codex bestimmt und in einer schematischen Lagenformel festgehalten werden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ganze Teile eines Wasserzeichens fehlen oder nicht vollständig erschlossen werden können. Typisch für kleinere Formate ist zusätzlich auch, dass das Wasserzeichen genau im Falz liegt und damit ein Scan nicht mehr möglich ist - in solchen Fällen muss es manuell erfasst werden. Dazu wird eine spezielle Leuchtfolie (Slimlight)  hinter das Blatt der Handschrift gelegt, die das Wasserzeichen sichtbar macht und einen Abrieb auf ein Blatt Papier mit Bleistift ermöglicht. Diese Durchreibung kann anschließend auf transparentes Papier übertragen und ebenfalls eingescannt werden.

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Die Durchreibung eines Wasserzeichens im Falz.

Die auf diese Weise aufgenommenen Wasserzeichen einer Handschrift werden schließlich mit den entsprechenden Metadaten in die Datenbank eingepflegt. Eine einzelne Handschrift kann bis zu 50 verschiedene Wasserzeichen aufweisen, in der Regel sind allerdings lediglich fünf bis 15 unterschiedliche Wasserzeichen vorhanden. Zur Dateneingabe gehören auch die digital zu ermittelnden Maße des Wasserzeichens (Höhe, Breite und Abstand der Stegdrähte) und die Ermittlung von identischen, d. h. in allen Merkmalen völlig gleichen oder leicht abweichenden Wasserzeichen, die als Varianten klassifiziert werden. Dazu werden die Wasserzeichen digital übereinander gelegt.

Das mit rund 36.000 verschiedenen Varianten am häufigsten in WZIS vertretene Wasserzeichen ist der Ochsenkopf. Möglicherweise liegt das daran, dass der Evangelist Lukas, dessen Symboltier der Stier ist, als Schutzpatron der mittelalterlichen Malergilden auch von verwandten Gewerken wie den Papiermachern verehrt wurde. Um die unterschiedlichen Ochsenköpfe vergleichen zu können, wurde im Rahmen des Projektes „Aufbau eines Informationssystems für Wasserzeichen in den DFG-Handschriftenzentren“ eine Systematik erstellt, die auf Nachfrage erweitert werden kann.

Nicht alle Wasserzeichen sind so eindeutig erkennbar und und können entsprechend mühelos in die Systematik eingruppiert werden wie die Ochsenköpfe. Hätten Sie erraten, um welche Motive es sich bei den folgenden Wasserzeichen handelt?

Die Autorin

Charleen Zander war bis August 2024 Mitarbeiterin der Abteilung Handschriften und Sondersammlungen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.