23. April 2025
John Evelyn (1620–1706) ist vielen wohl in erster Linie als Tagebuchschreiber bekannt. Neben Samuel Pepys gilt er als einer der wichtigsten Zeugen, der uns Einblicke in das England der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bietet. Doch Evelyn war nicht nur Tagebuchschreiber. Er war auch Praktiker und Tüftler, ein ‚How-to-er‘ sozusagen. Sein beeindruckendes Œuvre umfasst zahlreiche Texte mit Instruktionen zu allen möglichen Themen: Von der Reinhaltung der Luft über Stadtplanung, Forstwirtschaft und Gartenbau, bis hin zu Malerei und Gravierkunst. Sogar ein übersetztes Werk mit Anleitungen zur Errichtung einer Bibliothek gehört dazu.
Eines seiner eigentümlichsten Werke hat den Weg in die HAB gefunden: Acetaria: A Discourse of Sallets. Der Titel lässt es erahnen: es geht um den Anbau und die Zubereitung von Salat! Evelyn spricht sich darin für die Vorteile einer weitgehend pflanzenbasierten Ernährung aus, denn, so Evelyn, "all the World were Eaters, and Composers of Sallets in its best and brightest Age".
Dabei interessiert er sich nicht nur für verschiedene Salatzutaten, deren Zubereitungsformen und Eigenschaften, sondern auch für deren Geschichte. Tatsächlich genügt der Text nicht nur formal hohen literarischen Ansprüchen; der Salat selbst wird durch zahlreiche historische Hintergrundinformationen und poetische Referenzen (von Homer bis Milton) auch zu einem Gegenstand höchster Güte erhoben, reicht doch, laut Evelyn, das Salatessen als Praxis und das Wissen um seine Gesundheitsvorteile bereits bis in die Antike zurück. Zahlreiche englische, griechische und lateinische Belegstellen machen deutlich, dass es sich hier um eine Frage mit wissenschaftlicher Relevanz handelt.
So sei sein Thema,
Part of Natural History, the Product of Horticulture, and the Field […] which, as it concerns a Part of Philosophy, I may (without Vanity) be allow'd to have taken some Pains in Cultivating, as an inferior Member of the Royal Society.
Was als Salat gilt, lässt sich dagegen leicht zusammenfassen:
a particular Composition of certain Crude and fresh Herbs, such as usually are, or may safely be eaten with some Acetous Juice, Oyl, Salt, &c. to give them a grateful Gust and Vehicle.
Der Definition folgt zunächst ein alphabetisches Glossar der 73 wesentlichsten Zutaten (“Materials and Furniture“), inklusive Hinweisen zu Zubereitung und Kultivierung sowie eine detaillierte Beschreibung des Dressings für einen vollendeten Salat in neun Schritten. Hier hat sich im Vergleich zu unseren Essgewohnheiten wenig geändert: Öl, Essig, Salz, Pfeffer, nach Belieben auch etwas Zucker, Senf. Er schlägt auch vor, püriertes Eigelb zuzugeben, was dem Dressing eine Mayonnaise-artige Konsistenz verleihen dürfte.
Um die praktische Nutzbarkeit zu erhöhen ergänzt Evelyn sein Buch um eine ausklappbare Tabelle, die die Informationen zu richtigem Anbau, Erntezeit- und Menge in ökonomischer Weise auf einen Blick zusammenfasst. Wem Evelyns ausschweifende Prosa und die poetischen Exzerpte also zu langatmig sind, der kann getrost zum Mittelteil vorblättern.
Zuletzt fügt Evelyn dem Traktat eine Rezeptsammlung hinzu, deren Autorin “an Experienc’d Housewife“ sei – nicht ohne dies mit dem Hinweis auf andere “Noble and Illustrious Persons both among the Ancient and Modern“, die es ihm in der Vergangenheit gleichgetan hätten, zu rechtfertigen. Für ihn scheint das Kochrezept also eher eine niedere Gattung zu sein, die wohl nicht versehentlich von Frauen auszuführen war. Mit seiner Acetaria strebt Evelyn höhere Ziele an – der Salat als Buchthema soll genauestens, Blatt für Blatt, seziert werden.
Aber geht es Evelyn am Ende wirklich nur um Salat? Seine gelehrten Überlegungen lassen andere Deutungen zu – so wurde sein Werk unter anderem als politische Anspielung, theologisch-philosophische Reflexion, oder moralisierender, gesellschaftskritischer Kommentar gelesen.
Das Verspeisen saisonaler Rohkost war für Evelyn einerseits eine Rückkehr zum Ursprung, gleichzeitig war es jedoch nötig, durch eine geschickte Zubereitung und Kombination der Zutaten dafür zu sorgen, dass der Salat bekömmlich und veredelt wurde (“Esculent Plants and Herbs, improv'd by Culture, Industry, and Art”). Hier traten also Natur, Fleiß und Kultur in ein Wechselspiel.
Für ihn ist der Salad dresser ein Virtuose, der durch die harmonische Zusammenstellung der Zutaten ein Kunstwerk erschafft, das einer musikalischen Komposition gleicht:
every Plant should come in to bear its part, without being over-power’d by some Herb of a stronger taste, so as to endanger the native Sapor and Vertue of the rest; but fall into their places, like the Notes in Music, in which there should be nothing harsh or grating: And tho admitting some Discords (to distinguish and illustrate the rest) striking in the more sprightly, and sometimes gentler Notes, reconcile all Dissonancies, and melt them into an agreeable Composition.
Die Acetaria in ihrer Elaboriertheit ist vielleicht kein prototypisches How-to-Buch, postuliert es doch von vornherein ein „Discourse“ zu sein. Gleichzeitig sind viele ihrer Elemente geradezu typisch für die Gattung, wie sie uns in unseren Sammlungen begegnet: z.B. Paratext, alphabetisches Glossar, Tabelle, Ausrichtung auf Nutzbarkeit im Alltag, sowie eine detaillierte Aufgliederung der Arbeitsabläufe.
Eindrucksvoll zeigt aber die Acetaria, wie unterschiedlich die sozialen Zielgruppen von How-to-Büchern sein konnten und wie vielgestaltig deren Ziele. Neben die Vermittlung praktischen Wissens traten andere Belange: literarische, philosophische/theologische, etymologische, naturwissenschaftliche, gesellschaftlich-reformistische, usw. Wie viele Autor*innen von frühen How-to-Texten wirkt Evelyn unentschlossen, welche Art von Wissen er letztlich vermitteln und welche Art von Buch er schreiben will. Es scheint, als müsse für ihn praktisches Wissen durch einen entsprechenden Rahmen aufgewertet werden. Dabei gelingt es Evelyn jedoch kaum, seine echte, fast kindliche Freude am Tun zu verbergen. Wenn Wissen auch dazu dient, das Werk Gottes besser zu verstehen (“the most Useful, and Admirable of all the Aspectable Works of God”), so macht es auch einfach Spaß, mit beiden Händen in der Erde zu wühlen, den eigenen Pflanzen beim Wachsen zuzusehen und die Ernte anschließend zu verarbeiten und zu genießen. Und so endet sein Traktat nicht mit einer weiteren wissenschaftlichen Quellenangabe, sondern mit den Worten:
Happy the Man, who from Ambition freed,
A little Garden, little Field does feed.
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