26. September 2023

 

Die Autorin von „Das Bekreuzigte Hertz“ ist Magdalena Sibylle von Württemberg geb. Prinzessin von Hessen-Darmstadt (1652-1712). Warum publizierte eine Fürstin ein Gebetbuch? Welche Rolle spielte die Religion bei ihren repräsentativen Aufgaben? Schon die Ausbildung jeder jungen Prinzessin am frühneuzeitlichen Hof war primär eine Erziehung zur Frömmigkeit, die sie neben der Erlangung des eigenen Seelenheils auf ihre Repräsentationsrolle als Vorbeterin ihrer Untertanen und Beschützerin der Kirche vorbereiten sollte. Die jeweilige Ausrichtung des Hofes, an dem sie aufwuchs, bedingte, wie ihre eingeübte Frömmigkeitspraxis aussah. Vor allem wurde sie darin bestärkt, ihre Bibellektüre und gehörte Predigten nachzuerzählen und in eigenen Worten und Stoßgebeten schriftlich zu fixieren. Am Hof in Darmstadt, wo Magdalena Sybille die ersten 13 Jahre ihres Lebens verbrachte, war die Gebets- und Meditationspraxis von der Poesie und Emblematik geprägt, besonders durch Schriften der beliebten Nürnberger Erbauungsautoren, Johann Saubert, Johann Michael Dilherr und Georg Philipp Harsdörffer.

Was ist Emblematik und warum muss man sie verstehen, um frühneuzeitliche Denkweisen einordnen zu können? Es geht um ein europäisches Phänomen, das im 16. Jahrhundert einsetzte und im 17. Jahrhundert für alle Kunstsparten grundlegend wurde. Als Emblem bezeichnet man eine Kombination von Bild und Text, die zu Enträtselung auffordert. Embleme waren so verbreitet und bekannt, dass Zeitgenossen beim Lesen, Betrachten oder Zuhören Bezüge dazu herstellen konnten, die sich heutigen Leser*innen nicht sofort erschließen.

Magdalena Sibylle von Württemberg lebte nach dem Tod ihrer Mutter und bis zu ihrer Verlobung 1672 am Hof ihrer Tante Hedwig Eleonora, Königin von Schweden, wo die junge Prinzessin ihre schriftlichen Frömmigkeitsübungen fortsetzte und einen eigenen handschriftlich gebliebenen Emblemzyklus entwarf. 1673 heiratete Magdalena Sibylle den Erbprinzen von Württemberg. Die Herzogin war mit ihrem vierten Kind schwanger, als ihr Mann 1677 plötzlich verstarb. Das Land wurde durch die französischen Kriegshandlungen im Südwesten während des Pfälzischen Erbfolgekriegs schwer in Mitleidenschaft gezogen. Magdalena Sibylle kämpfte energisch um die ihr zunächst verweigerte Mitregentschaft und spielte über Jahrzehnte eine eminent wichtige Rolle durch ihre erfolgreichen Verhandlungen mit französischen Angriffs- und Besatzungstruppen. 1693, am Ende der vormundschaftlichen Regierung, zog sie sich auf ihre Witwensitze Stetten und Kirchheim zurück.

Die kontinuierliche Veröffentlichung von Erbauungsbüchern ist als konstitutiver Teil der eigenen Präsentation Magdalena Sibylles als Landesmutter anzusehen und wurde 1712 als solches in den Funeralwerken anlässlich ihres Todes in beeindruckender Weise zelebriert. Ihre Werke, wie das gerade erworbene „Bekreuzigte Hertz“ (1698), sind Handbücher für eine häusliche Meditations-, Gebets- und Gesangspraxis. Die Embleme nehmen dabei eine zentrale Rolle ein, indem sie visuelle Anstöße zu eigenen Meditationen liefern (Abb. 1).

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Abb. 1: Beispiel eines Emblems aus dem Bekreuzigten Hertz (1698): Die Seele (der Putto) hält einen Spiegel, der das Bild vom gekreuzigten Christus in das Herz brennt. Die Überschrift lautet: "Deine Strahlen gunst/ Mehrt deß Hertzen brunst/ durch die Spiegel Kunst."

Der überlieferte Bibliothekskatalog der Herzogin zeigt, dass die emblematische Literatur einen Schwerpunkt ihrer Sammlung bildete. Sie verwendete solche Vorlagen nicht nur in der eigenen schriftlichen Praxis, sondern ließ ihr Schlafzimmer in Stuttgart mit emblematischen Bildern ausmalen und 1682 als Großprojekt die Kapelle ihres Witwensitzes in Stetten mit einem elaborierten Emblemprogramm ausstatten. Während ihrer Mitregentschaft hat sie 1680 und 1690 zwei Erbauungsbücher veröffentlicht. 1698 folgte „Das Bekreuzigte Hertz", das aus drei Teilen besteht. Laut Vorrede soll das 750 Seiten starke Buch den Glauben festigen und das Leiden Christi vorstellen – „alle mit unterschiedlich-vielen Emblematibus und geistlichen Sinn-Bildern [...] das ein Christlicher Leser/ auch durch den Anblick und Betrachtung derselben/ die Süssigkeit der Wunder/ Gnaden und Wohlthaten Christi fühlen und empfinden kann.“ Hierbei geht es um das Ausblenden von weltlichen Belangen, die Erweckung von Emotionen und die Identifikation mit allen Einzelheiten des Leidens Christi.

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Abb. 2: Ausschnitt aus dem Titelkupfer des ersten Teils vom Bekreuzigten Hertz (1698). Im Hintergrund liegt vermutlich das Stuttgarter Schloss. Im Vordergrund hat die Anbetende ihr weltliches Gut (Perlen, Krone, Regentenstab) weggeworfen, ihr Herz ist an das Kreuz genagelt und sie spricht mit dem Gekreuzigten.

Die intensive Betrachtung der Bilder soll durch Vertiefung in die Meditation zur Reue und Buße führen. Dies war noch eine Zeit, in der Regierende bei Seuchen, Krieg und anderen Katastrophen landesweit Bußpredigten und Bußtage anordneten, um göttliche Strafen abzuwenden. Insofern konnte das Gebetbuch einer Fürstin durchaus nicht bloß fromm, sondern „staatstragend“ sein. In einem Bußlied im dritten Teil ihres Bandes dichtete die Fürstin diese Zeilen:

O Welt! O Leut! O Zeiten/
Von nichts als Krieg und Streiten/
Als Rauben/ Mord und Brand/
Von nichts als Fluchen/ lüegen/
Verrahten und betrüegen/
Hört hin und her man in dem Land!

Verwirrt seynd alle Sachen/
Die Welt fangt an zu krachen/
Es brennt schon GOttes Rach/
Frißt Dörffer/ Städt und Länder/
Und wir verstockte Sünder/
Thun Ihn zu stillen/ nicht zur Sach.


Titelbild: Das Bekreuzigte Hertz (1698). Das Titelkupfer des dreiteiligen Gesamtwerks.


PURL: http://diglib.hab.de/?link=176

 

Die Autorin

Dr. Jill Bepler war bis 2018 Leiterin der Abteilung Wissenschaftliche Veranstaltungen und Stipendien an der Herzog August Bibliothek. Sie ist Mitglied im Vorstand der Gesellschaft der Freunde der HAB.

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