28. November 2023
Nach dem Tod der beiden Schwestern kam das als “Vieweg Sammlung” deklarierte Briefkorpus folglich mit der Bestimmung, dass diese „auch für die Zukunft als gesonderte, abgeschlossene Sammlung fortbestehen solle”, in die heutige Herzog August Bibliothek, wo sie seitdem aufbewahrt und erschlossen wird.
Sophie und Lilla Vieweg stammten aus einer renommierten Braunschweiger Verlegerfamilie, die mehr als ein Jahrhundert lang den gleichnamigen Verlag zunächst in Berlin und später in Braunschweig führte. Der Vieweg Verlag blickt auf eine beeindruckende Reihe zum Teil bedeutender Veröffentlichungen von wissenschaftlicher, speziell technischer Literatur zurück. Der aus Halle an der Saale stammende Friedrich Vieweg (1761–1835) gründete den Verlag im Jahr 1786 in Berlin. Auf Wunsch von Herzog Karl Wilhelm Ferdinand ließ er sich 1799 in Braunschweig nieder und führte dort seinen Verlag fort.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts etablierte er sich als einer der führenden Verlage im deutschsprachigen Raum und erlangte internationale Anerkennung. Viele bedeutende Wissenschaftler*innen und Autor*innen veröffentlichten ihre Werke bei Vieweg, darunter Carl Friedrich Gauß, Johann Wolfgang von Goethe, Joachim Heinrich Campe, Hermann von Helmholtz und Ernst Mach. Bekannt wurde der Vieweg Verlag für seine Veröffentlichungen im Bereich Mathematik und Physik. Zahlreiche wegweisende wissenschaftliche Werke, Lehrbücher und Fachzeitschriften wurden hier veröffentlicht, wodurch er einen bedeutenden Beitrag zur Verbreitung des Wissens und zur Weiterentwicklung dieser Disziplinen leistete.
Die Sammlung in der Herzog August Bibliothek
Nach der Übergabe der Autographensammlung an die Bibliothek ordnete der damalige Bibliothekar Otto von Heinemann die Sammlung neu und verzeichnete den Bestand in einem eigens dafür angelegten Katalog alphabetisch und getrennt nach bürgerlichen und adligen Verfasser*innen. Im Bestand der Vieweg-Sammlung selbst ist ein Katalog vorhanden, der nicht von Heinemann geschrieben wurde und vermutlich das ursprüngliche Verzeichnis der Sammlung darstellt. Hier wurden alle Autor*innen alphabetisch verzeichnet. Große Lücken und leere Seiten deuten darauf hin, dass der Katalog fortlaufend geführt wurde. Heinemann selbst schreibt im Jahr 1901 in einer Notiz zu seinem neu angelegten Katalog, dass die Sammlung ursprünglich nach Berufen, wie etwa Schriftsteller*innen, Dichter*innen oder Militärangehörigen geordnet war.
In jüngerer Zeit wurde der Bestand in zwei unterschiedlichen Nachweissystemen geführt. Erstens hausintern im Verzeichnis der Briefsammlungen der Bibliothek, das in gebundener Form im Freihandbereich der Handschriftenabteilung steht, und zweitens in der Online-Datenbank Kalliope, in die die Autographensammlung der Herzog August Bibliothek zwischen 1998 und 2016 eingearbeitet wurde.
Bei dem Wolfenbütteler Bestand zum Vieweg Verlag handelt es sich um ungefähr 2000 Briefe berühmter Persönlichkeiten sowie aus dem Umkreis der Familie und des Verlags. Des Weiteren besteht die Sammlung aus 41 Kupferstichen, Manuskripten, Gedichten, Noten, einem Stammbuchblatt von Johann Gottfried Eichhorn, sowie einer Erstausgabe von Jean Pauls Roman „Katzenbergers Badereise” (1809) mit unzähligen Anmerkungen des Autors zur Drucklegung der zweiten Auflage. Eine handschriftlich angefertigte Visitenkarte von Ludwig van Beethoven sowie eine von Radetzky am Hut getragene Feder während eines Revolutionsgefechts des Jahres 1848 stellen einige der in der Sammlung befindlichen Kuriositäten dar.
In der Regel sind eine oder mehrere einer Person zugeordnete Signaturen in einem Umschlag zusammengefasst, dem gelegentlich Artikel aus Zeitungen des 19. Jahrhunderts zu deren Person beigelegt wurden. Bei einigen berühmten Persönlichkeiten gibt es ein kleines, nachträglich hinzugefügtes Blatt mit einer Personenbeschreibung. Die Briefe stammen ausnahmslos aus der Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine frühe Ausnahme bildet ein Brief von Franz Egon Graf von Fürstenberg-Heiligenberg, Bischof von Straßburg, aus dem Jahr 1664.
Etwa ein Viertel der Briefsammlung ist an Unbekannt gerichtet, ein weiteres Viertel steht im Zusammenhang mit Joachim Heinrich Campe, dem Gründer der Braunschweigischen Schulbuchhandlung und Schwiegervater des Verlagsgründers Friedrich Vieweg. Rund 180 Briefe stammen aus der Frühzeit der Verlagsgründung und stellen Geschäftsbriefe dar. Die Sammlung ist in einen größeren Bestand „Vieweg“ (Signatur: V) und „Vieweg Fürsten“ (Signatur: VF) unterteilt. In den Bestand „Vieweg Fürsten“ sind knapp 50 Briefe adeliger Personen aufgenommen, darunter König Friedrich II. von Preußen oder König Otto I. von Griechenland. Inhaltlich handelt es sich eher um Geschäfts- als Privatkorrespondenz.
In der Sammlung befinden sich unter anderem sieben Briefe von der Hand Schillers und 21 Briefe von Lessing. Zu weiteren berühmten Personen gehören Johann Gottfried von Herder, Martin van Buren, Charles Dickens, Nicolo Paganini, Hans Christian Andersen, Richard Wagner, Immanuel Kant, Alexander von Humboldt, Willem Bilderdijk, Ludwig van Beethoven und Josef Wenzel Radetzky. Dass es sich um keine systematische oder vollständige Sammlung einzelner Korrespondenzen handelt, zeigt die bunte Vielfalt der Autor*innen.
Erschließungsfragen
Beim Abgleich der Bestandsdaten aus dem vorhandenen Bandkatalog der Herzog August Bibliothek mit den Einträgen im Onlineportal Kalliope finden sich zahlreiche Unterschiede. Beispielsweise sind die Signaturen nicht immer korrekt in Kalliope wiedergegeben und mehrere Klopstock-Briefe sind unter einem anderen Namen verzeichnet sind. Des Weiteren gibt es gelegentlich keine eindeutige, etwa durch eine Unterschrift dokumentierte Zuordnung eines Briefes zu einer Person.
Darüber ist festzustellen, dass nicht alle Briefe ersichtlich mit Vieweg zu tun haben, was vor allem die Teilsammlung Vieweg Fürsten betrifft. Dies wirft die Frage auf, wer was unter welchen Gesichtspunkten gesammelt haben könnte. So sind zum Beispiel von einigen bekannten Persönlichkeiten, wie Charles Dickens und Arthur Wellington, nur die Briefumschläge vorhanden, nicht aber ihr Inhalt. Insgesamt war keine eindeutige Sammlungsintention erkennbar.
Aufgaben der HAB und mögliche Forschungsfragen
Eine erste Notwendigkeit der Bearbeitung ergibt sich aus den divergierenden Einträgen in den verschiedenen Systemen. Eine autoptische Korrektur der Datensätze in Kalliope wäre dabei sicher am sinnvollsten und für die Nutzer*innen am gewinnbringendsten. Eine sukzessive Digitalisierung des gesamten Bestands und die Einarbeitung in den elektronischen Handschriftenkatalog sollte sich daran anschließen.
Inwiefern der Bestand von der bisherigen Forschung wahrgenommen wurde, müsste in einem weiteren Schritt geprüft werden. Der Campe-Briefwechsel beispielsweise wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts publiziert. Eine Recherche zum Handexemplar von „Katzenbergers Badereise” ergab, dass es sich um das einzig überlieferte Druckexemplar Jean Pauls handelt, das in der historisch-kritischen Gesamtausgabe von Behrend berücksichtigt wurde: „Glückliche Umstände haben uns die Druckvorlage wenigstens für das erste und dritte Bändchen erhalten: es ist dies die einzige Druckvorlage eines Jean Paul’schen Werkes, die auf uns gekommen ist. Sie besteht aus einem zerlegten Exemplar der ersten Auflage [...].” Eine aktuelle Publikation zur Genese der zweiten Auflage verzeichnet dieses Exemplar hingegen nicht.
PURL: http://diglib.hab.de/?link=179
Autor*innen
Julia Kromminga
Julia Kromminga ist Co-Autorin des Beitrags und verfasste diesen im Rahmen eines zehnwöchigen Praktikums in der Arbeitsstelle Digitale Editionen und eines Workshops an der Universitätsbibliothek Braunschweig. Wenn Sie ebenfalls Interesse an einem Einblick in die Arbeit der Herzog August Bibliothek gewinnen wollen, wenden Sie sich bitte an ed.ba1733759043h@tfn1733759043uksua1733759043.