28. Februar 2020

Das erklärte Ziel des Workshops war es laut Marshall Weber, „a lasting bond“, eine beständige Bindung zwischen den Bürger*innen Wolfenbüttels und der Herzog August Bibliothek zu schaffen. Wir haben vier Teilnehmer*innen gefragt, wie sich ihre Beziehung zur HAB durch den Workshop verändert hat.

Monika Meißner:
Das ist eine ganz einfache Frage, bzw. ist die Antwort ganz einfach, weil sich meine Beziehung wirklich total geändert hat. Ich war zwar vorher bibliotheksaffin, in dem ich viele Ausstellungen besucht habe und insbesondere auch die Künstlerbuchvernissagen angeschaut habe. Mir fehlten aber noch viele viele Kenntnisse. Und da bin ich jetzt – über die Hausaufgabe der Buchrecherche – eingestiegen und habe Dinge erfahren, die ich vorher nicht wusste. Ich hatte immer gedacht, an der HAB sei eigentlich nur wissenschaftliches Arbeiten mit den Büchern möglich. Dass ich das als „normale Bürgerin“ auch alles in gleicher Weise nutzen kann, war mir vorher einfach nicht bekannt! In den Feinheiten der praktischen Umsetzung, was den Ausweis und die Ausleihe anbelangt, bin ich dann auf sehr hilfsbereite und geduldige, freundliche Mitarbeiterinnen gestoßen. Das war klasse und die haben mir unheimlich weitergeholfen. Das war wirklich eine Offenbarung für mich. Ich bin nachhause gekommen und hab gesagt: „Wow – meine Bibliothek!“

Der Workshop fand im Herbst letzten Jahres vor dem Hintergrund des umfangreichen Bestands an Malerbüchern der HAB statt. Im Rahmen einer Einführung zum Workshop stellte die Restauratorin Katharina Mähler neben Webers Werk „At the Theodor Adorno Monument“ auch Exponate wie Joseph Beuys‘ „1a gebratene Fischgräte“, Henri Matisse‘ „Jazz“ oder Veronika Schäpers „Lob des Taifuns“ vor und gewährte so einen inspirierenden Einblick in die Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten des Mediums Künstlerbuch. Schon bevor die Teilnehmer*innen das erste Mal in den Räumen der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel zusammentrafen, begann die kreative Arbeit mit zwei Aufgaben, die Marshall Weber gestellt hatte. Zum einen sollten alle Teilnehmer*innen sich ein Buch aus der Sammlung der HAB aussuchen und es am ersten Workshop-Tag kurz vorstellen. Weiterhin sollten zwei Briefe geschrieben werden: einer an die echten, zukünftigen, oder imaginierten Enkelkinder und einer an die Generation der Großeltern. In den darauffolgenden Wochen trafen sich die Teilnehmer*innen regelmäßig und lernten sich und die verschiedensten Materialien und Techniken kennen. Sie schnitten, klebten, frottierten, zeichneten, collagierten und entwickelten schließlich ihr ureigenes, individuelles Künstlerbuch.

Anita Marijana Bajic:
Durch die Möglichkeit, an dem Workshop teilzunehmen, habe ich die HAB überhaupt erst kennengelernt. Und ich bin sehr froh darüber, weil es so ein wunderschönes Gebäude mit so wunderschönen alten Büchern ist und ich fand die Herausforderung, die Aufgabe, die uns Marshall Weber gegeben hat, uns mit Büchern aus der Bibliothek zu beschäftigen, sehr schön. Ich habe versucht, mich in die antiken Bücher einzuarbeiten. Das war wirklich eine große Herausforderung, ich hatte aber sehr nette Unterstützung von Mitarbeitern der Bibliothek. Letztendlich bin ich aber im Schülerseminar fündig geworden und habe mit Büchern gearbeitet, die dort gerade genutzt wurden. Dort waren auch gerade Schüler vor Ort, die in der Bibliothek gearbeitet haben und ich finde es immer total gut, einen Bezug auf das Aktuelle, auf das Heute, auf die Gegenwart zu haben. Ich habe dann ganz viele Bücher über die Rolle der Frau aus dem Schülerseminar ausgeliehen und damit arbeite ich jetzt gerade.

Carsten Curtius:
Ich habe die HAB bisher immer über die Künstlerbücher wahrgenommen, habe aber selbst in der Richtung nie irgendetwas gemacht – weder gezeichnet, noch gemalt. Ich bin dann auch mit einer ziemlichen Unsicherheit, aber großem Interesse in den Workshop gegangen. Für Ungeübte wie mich war daher dieses Quadrat (Leporello aus Museumspapier in quadratischer Form, Anm. d. Red.) eine große Erleichterung. Das war eine klare Vorgabe. Bei der Aufgabe mit den Briefen hatte ich zuerst den Eindruck, dass das vielleicht ein bisschen zu pädagogisch ist, aber es hat mich dann doch zum intensiveren Nachdenken gebracht. Meine Beziehung zur HAB hat sich insoweit verändert, als dieses Projekt mir durch die Anregung von Marshall Weber die Möglichkeit gegeben hat, mir ein Buch auszusuchen und zeigen zu lassen. Das hatte ich bisher noch nie gemacht und das war für mich eine neue Erfahrung.

Marlies Curtius:

Fast sprunghaft! Eine der Vorbereitungsaufgaben von Marshall Weber war es, im Malerbuchsaal ein Buch der eigenen Wahl zu finden. Und das hat mich bewogen, natürlich persönlich hinzugehen – nicht etwa übers Internet zu gehen, sondern den direkten Kontakt zu suchen. Ich war dann bei der Ausleihe und bin mit den Mitarbeiterinnen ins Gespräch gekommen. Es wurden Bücher herausgesucht, es wurden Erklärungen abgegeben, ich habe einen ganzen Nachmittag dort verbracht. Es war eine helle Freude.

Ich kenne das Haus schon seit 1968, aber dieser tiefere Zugang durch die Aufgabenstellung hat bewirkt, dass ich meine erste Inkunabel in der Hand halten und darin blättern konnte. Das war schon ein besonderes Erlebnis. Die Kultur ist immer vorne, wenn es darum geht zu öffnen und neugierig zu sein, auch etwas Ungewöhnliches zu tun, den Fuß in die Tür zu setzen. Und genau das spricht dieser Workshop an: Durchlässigkeit. Durchlässigkeit zwischen zwei Institutionen, der Bundesakademie für kulturelle Bildung und der HAB und Durchlässigkeit zwischen den Teilnehmern und den Institutionen. Die Teilnehmer sind ja keine Fachleute aus dem Bibliothekswesen und haben nicht ständig die frühe Neuzeit im Kopf, sondern das sind interessierte Laien, die sich ein bisschen Wissen zusammengestellt haben. Eigentlich möchten viele das bestimmt vertiefen und wissen aber gar nicht, wie man sowas machen kann. Dazu finde ich solche Ereignisse und Erlebnisse sehr fruchtbar. Man spricht auf einmal mit verschiedenen Mitarbeitern einer Institution, in der man weder arbeitet, noch direkten Zugang hat. So kann man die Struktur eines Hauses allmählich kennenlernen und erfahren wie es mit Öffentlichkeit umzugehen gedenkt, wie es Wissen freigibt und was ich aktiv von meiner Seite tun kann, um ins Gespräch zu kommen und meine Fragen zu stellen. Das ist doch der Kern von Bildung: Lernen, gute Fragen zu stellen. Und das hier ist genau der Ort, an dem das kultiviert wird. Wenn nicht hier, wo dann? Da merkt man dann mal wieder, was man alles nicht weiß und wo man sich bereichern kann, in einem ganz positiven Sinne. Ich sehe das als Öffnung, als nach allen Seiten hin durchlässige Veranstaltung. Das ist ein Weg hinein – in beide Institutionen.

Marshall Weber wurde für sein Konzept mit dem von der Herzog August Bibliothek und der Curt Mast Jägermeister Stiftung gemeinsam vergebenen Künstlerbuchpreis des Jahres 2019 ausgezeichnet. Lesen Sie hier ein Interview mit dem Künstler, in dem wir mit ihm über den Workshop und seine persönliche Beziehung zur HAB gesprochen haben.

 

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