25. Juni 2023

 

Treffen sich zwei Digital Humanists …

Klingt wie der Anfang eines vielversprechenden Witzes – und witzig wird es auch immer dann, wenn unterschiedliche Erwartungen, Vorannahmen und Zielsetzungen aufeinanderprallen, während alle glauben, dass jede*r weiß, was gemeint ist. In einer Disziplin wie den Digital Humanities (DH), die noch nicht auf eine lange Tradition der Begriffsbildung zurückblicken kann, begegnen sich Forschende mit sehr unterschiedlichen akademischen Hintergründen. Die Wahrscheinlichkeit für Missverständnisse gegenüber den traditionellen geisteswissenschaftlichen Disziplinen ist hoch: Im besten Fall gibt es was zu lachen, viel häufiger kosten sie Zeit, Geld und Nerven.

 

Kollaborativ, erweiterbar, offen – Begriffsarbeit in den Digital Humanities

Die AG ›Digital Humanities Theorie‹ des Verbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e. V. hat sich deshalb die Arbeit an den Begriffen der digitalen Geisteswissenschaften zur Aufgabe gemacht. Sie ist Herausgeberin des diskursiven Glossars Begriffe der Digital Humanities, das im Mai 2023 in der Reihe der Working Papers der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften (ZfdG) erschienen ist.

Von Beginn an war das Glossar ein kollaboratives, offenes Projekt: Sowohl die Vorschläge für die Begriffe als auch die Struktur der Beiträge wurden aus der AG heraus und unter Einbezug der DH-Community entwickelt. Die Autor*innen konnten entsprechend über offene Aufrufe gewonnen werden.

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Abb.1: Ansicht der ersten vier Glossar-Einträge auf der zugehörigen Webseite.

Das Diskursive Glossar erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr ist es auf stetige Veränderung und Erweiterbarkeit angelegt: Die DHd-AG ›Digital Humanities Theorie‹ ruft als Herausgeberin dazu auf, Vorschläge für weitere Begriffe einzureichen.

Die 13 zunächst publizierten Einträge, die jeweils einen Begriff definieren, herleiten und in seinen Bedeutungsdimensionen auffächern, können nach Erscheinen von allen Interessierten kommentiert und begutachtet werden: Im Open Public Peer Review-Verfahren dürfen Kritik, Lob, Korrektur- und Ergänzungsbedarf ausgesprochen werden und Diskussionen entstehen, indem auf Kommentare anderer geantwortet wird. Im Anschluss an diese Phase der öffentlichen Begutachtung, die am 1. September 2023 endet, werden die Beiträge durch die Autor*innen überarbeitet und versioniert veröffentlicht.

Beispiel einer grafischen Darstellung von Bedeutungsdimensionen: Mögliche Gliederung von Modelltypen nach Funktionalität.
Abb.2: Beispiel einer grafischen Darstellung von Bedeutungsdimensionen aus dem Glossar-Eintrag „Modell“ von Ramona Roller.

Digitale Möglichkeiten

Zwar gibt es auch in Print-Publikationen Ansätze zu Kollaboration, Erweiterbarkeit und Offenheit, doch der hier gegebene Grad der Transparenz des Verfahrens ist nur mit digitalen Mitteln zu erreichen: Die Kommentare aus dem öffentlichen Begutachtungsverfahren sind direkt am Beitrag nachvollziehbar, die zuerst veröffentlichte Version bleibt bestehen, die Änderungen in der Überarbeitung lassen sich über einen digitalen Versionenvergleich auf einen Blick nachvollziehen.

Beispiel für einen versionierten Beitrag nach Begutachtung (Open Peer Review): Das Ergebnis der Begutachtung ist mit einem Farbsystem deutlich gemacht (zweimal grün = uneingeschränkt zur Publikation empfohlen), über Verlinkungen kann man auf den Vergleich mit der vorhergehenden Version zugreifen.
Abb.3: Beispiel für einen versionierten Beitrag nach Begutachtung (Open Peer Review): Das Ergebnis der Begutachtung ist mit einem Farbsystem deutlich gemacht (zweimal grün = uneingeschränkt zur Publikation empfohlen), über Verlinkungen kann man auf den Vergleich mit der vorhergehenden Version zugreifen.

Mit den Working Papers hat es sich die ZfdG zur Aufgabe gemacht, verschiedene Möglichkeiten des digitalen Publizierens zu erproben. Diese Reihe liefert inhaltlich wichtige Impulse, indem sie innovative Fragestellungen oder Grundsatzthemen der DH in den Blick nimmt und zur Diskussion stellt.

ZfdG Working Papers 1-3: Digitales Publizieren in den Geisteswissenschaften, Begriffe der Digital Humanities, Referenzrahmen für eigenständige digitale Wissenschaftskommunikation durch Forschende
Abb.4: Bislang sind in der Reihe der Working Papers drei Publikationen zu Grundsatzthemen der Digital Humanities erschienen.

Die Working Papers ergänzen so sowohl die Fachartikel und Projektvorstellungen, die in den Jahresheften der Zeitschrift zusammengefasst werden, als auch die Sonderbände, die mehrere Beiträge zu spezifischen Themen unter gesonderter Herausgeberschaft bündeln. Allen Beiträgen in der ZfdG ist gemeinsam, dass sie ausschließlich digital und vollumfänglich Open Access erscheinen: Es ist keine Anmeldung für das Lesen von Beiträgen notwendig und alle Texte, Daten und Medien können jederzeit kostenlos aufgerufen sowie heruntergeladen werden. Die ZfdG erhebt außerdem keinerlei Publikationsgebühren für Autor*innen und Herausgeber*innen – eine Veröffentlichungsform, die als Diamond Open Access bezeichnet wird.
 

Die ZfdG

Ins Leben gerufen wurde die ZfdG als Projekt des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel (MWW), um den Bedarf für ein DH-Journal im deutschsprachigen Raum unter Einbezug von innovativen Strategien aus den Bereichen Open Access und Open Science zu decken. Die Zeitschrift ist unabhängig von herkömmlichen Verlagsstrukturen und Distributionskanälen und wird gemeinschaftlich vom Forschungsverbund MWW und dem Verband Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e. V. herausgegeben. Neben der kostenfreien Nutzung von allen veröffentlichten Beiträgen steht bei der ZfdG auch immer die Entwicklung schneller und effizienter Publikationswege, eines XML-basierten Publikationsworkflows und verlässlicher Verfahren der Qualitätssicherung im Mittelpunkt. Neben den beschriebenen Begutachtungsverfahren, bei denen die Autor*innen über den Grad der Offenheit und Öffentlichkeit des Verfahrens selbst entscheiden können, spielt die Fachredaktion in der Qualitätssicherung eine entscheidende Rolle: Sie begutachtet die eingereichten Publikationsvorhaben und stimmt über Annahme und Ablehnung von Beiträgen ab.

Nicht zuletzt mit diesem zweistufigen System der Qualitätssicherung hat sich die ZfdG mittlerweile fest in der deutschsprachigen DH-Community etabliert. Sie wird gelesen, zitiert und bei Publikationsvorhaben berücksichtigt. Homebase für alle diese Aktivitäten ist die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: Hier sitzt die Tagesredaktion, tüftelt an Umsetzungen für technische und inhaltliche Innovationen, redigiert die eingereichten Texte, katalogisiert und publiziert die Beiträge und kanalisiert die vielen Kommunikationsströme rund um die mal konkreteren, mal abstrakteren Fragestellungen zum digitalen Publizieren.

Titelbild: Cover von: AG Digital Humanities Theorie des Verbandes Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e. V. (Hg.): Begriffe der Digital Humanities. Ein diskursives Glossar (= Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften / Working Papers, 2). Wolfenbüttel 2023. 25.05.2023. HTML / XML / PDF. DOI: 10.17175/wp_2023

 

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