28. März 2023

Der aus Itzehoe stammende Wagener, über den wir heute nur wenig wissen, begab sich zwischen den Jahren 1652 und 1658 mehrfach auf Gesellen- und Bildungsreisen nach Königsberg, Danzig und später nach Frankfurt. Von hier aus ging es im Gefolge von Herzog Ferdinand Albrecht I. von Braunschweig-Wolfenbüttel, dem vierten Sohn von Herzog August, weiter bis nach Orléans, wo Wageners Aufzeichnungen abbrechen. Seine Reisenotizen befinden sich heute in der Herzog August Bibliothek und werden derzeit im Rahmen des DFG-geförderten Editionsprojekts Grand Tour digital erschlossen.

Seine zahlreichen kürzeren und längeren Reisen, die immer wieder durch Krieg und Pest unterbrochen wurden, führten ihn unter anderem zu Apotheken, in denen er sich manchmal für wenige Tage, manchmal über einen längeren Zeitraum ausbilden ließ. Nachdem sich seine Rückreisepläne nach Königsberg im Herbst 1656 durch die Ereignisse des Zweiten Nordischen Krieges (1655–1661) als schwierig erwiesen, blieb Wagener noch eine Weile in Meldorf, dem Hauptort von Dithmarschen. Anfang 1657 reiste er dann über Husum und Schleswig nach Gottorf, wo er den herzoglichen Leibarzt Joel Langelott (1617–1680) „durch deßen apotheckergesellen“ kennenlernte. Nachdem der Leibarzt Wagener für drei Tage beherbergt hatte, empfahl er ihn an den Hofbibliothekar Adam Olearius.

Die Gottorfische Kunstkammer, die in der Frühen Neuzeit zahlreiche Besucher anlockte, entstand unter Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf (1597–1659), der seine Residenz zu einem bedeutenden Zentrum von Kultur und Wissenschaft ausbauen wollte. Tatkräftige Unterstützung erhielt der Herzog von dem aus Aschersleben stammenden Gelehrten Adam Olearius (latinisierte Form des deutschen Namens Oehlschlegel). Nach der Rückkehr von seiner Reise nach Russland und Persien in den Jahren 1633 bis 1639 wurde Olearius in Gottorf zunächst Hofmathematiker, später auch Hofbibliothekar. 1647 veröffentlichte er den Bericht seiner Orientalischen Reise, durch die er weithin bekannt wurde. 1666 publizierte er eine detaillierte Beschreibung der Gottorfischen Sammlung, die Gottorffische Kunst-Kammer.

Mathias van Somer: Bildnis Adam Olearius (eig. Oehlschlegel), 1656. HAB: A 15408
Abb. 1: Mathias van Somer: Bildnis Adam Olearius (eig. Oehlschlegel), 1656. HAB: A 15408

Einige der darin abgebildeten und beschriebenen Objekte nahm auch Wagener in Augenschein, als ihn Olearius durch die Sammlungsräume führte. Dabei ging er neben Hinweisen über die Herkunft der Sammlungsstücke auch auf Anekdoten ein, die Olearius ihm während seines Besuchs anvertraute, etwa bei einer Peitsche mit einem großen Knauf, mit der „die Chineser einem den Kopff mit einschlagen wenn sie einem erhaschen“. Dies wäre auch Olearius auf seiner „Persianischen reise“ beinahe passiert, wenn nicht seine Reisebegleiter „Jhm ungefehr zu hulffe kommen weren“.

Ein besonderer Höhepunkt des mehrtägigen Besuchs war der imposante Gottorfer Globus, dessen Original sich heute infolge einer späteren Schenkung an Zar Peter I. in Sankt Petersburg befindet. Der begehbare Hohlglobus war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ganz fertiggestellt. Den Reisenotizen zufolge hat Wagener das technische Wunder sehr umfänglich betrachtet. Der kupferne Globus war demnach „in einem großen Saal“ untergebracht, wo er „von der Erde an biß oben an den boden“ reichte. Unter der Erde wurde er mit Wasser angetrieben, das „wie ein Uhrwerck kan gestellet werden, daß er [= der Globus] geschwind vnd langsahm gehet.“ Im Inneren der begehbaren Weltkugel befand sich ein runder Tisch mit einer umlaufenden Bank, auf der „11 persohnen vmb den tisch sitzen können.“ Wagener bewunderte ebenfalls die künstlerischen Darstellungen der Sternzeichen und Planeten, die auf der Innenseite, sowie der vier Erdteile, die auf der Außenseite des Globus abgebildet waren. Der Nachbau dieses Gottorfer Riesenglobus kann heute vor Ort oder online virtuell besucht werden.

Die Besichtigung der Gottorfer Kunstkammer und des Riesenglobus durch Wagener kann repräsentativ für den Modus der Weltaneignung stehen, dem frühneuzeitliche Bildungsreisen dienten. Indem sich die Reisenden mit mehr oder weniger fremdartigen Wissensobjekten, Sprachen und Kulturen auseinandersetzten, präsentierten sie sich als weltgewandte und kultivierte Subjekte. Um diesen Konstitutionsprozess erforschbar zu machen, wird der Reisebericht Wageners im Rahmen des DFG-geförderten Forschungsprojekts zusammen mit weiteren Selbstzeugnissen aus den Beständen der HAB, die frühneuzeitliche Bildungsreisen dokumentieren, erschlossen und ediert. Die Edition der Berichte erfolgt unter Anwendung teilautomatisierter Verfahren wie der Handschriftenerkennung mittels Transkribus und der named entity recognition. Ziel ist neben der Erschließung und Edition auch die Dokumentation des zum Teil experimentellen Arbeitsverlaufs im projektbegleitenden Blog sowie im Hinblick auf eine freie Nachnutzung der gesammelten Forschungsdaten ihre langfristige Verfügbarkeit im Selbstzeugnis-Forschungsportal und über den GitLab-Server der HAB.

 

PURL: http://diglib.hab.de/?link=122

 


Titelbild: H[ieronymus] van Hensberg: Frontispiz zu Olearius, Adam: Gottorffische Kunst-Kammer, Schleswig 1674. HAB: H: T 207.4° Helmst.